Prof. Dr. Fulbert Steffensky hielt ein Grundsatzreferat und dachte über
die Bedeutung des Kirchenraumes nach. Hier einige Auszüge:
Wozu brauche ich den heiligen Raum? Im
heiligen Raum muss ich nicht
eloquent sein. Der heilige Raum ist der Raum, in dem die
Toten meine Zeugen sind. Hier wurde ihr Lebensanfang unter die große
Geste der Taufe gestellt, hier haben sie geschworen, hier haben sie den
Bruch ihrer Schwüre bereut, hier haben sie ihr Glück gefeiert und ihre
Niederlagen beweint, hier wurden die letzten Gebete über sie gesprochen.
Jeder Kirchenraum ist dunkel von der Patina der Seufzer, der Gebete, der
Zweifel, der Hoffnung der Toten. Eine Tradition haben, heißt, an die
Stelle der Toten treten, nicht nur um ihre Aufgaben zu übernehmen,
sondern um Anteil zu gewinnen am Glauben und an der Hoffnung dieser
Toten. Wir bauen uns von außen nach innen, und wir müssen nicht einmal
die vollkommenen Meister unseres Glaubens sein.
Eine Kirche ist nicht schon dann eine Kirche, wenn sie fertig gestellt
und eingeweiht ist. Eine Kirche wird eine Kirche mit jedem Kind, das
darin getauft ist; mit jedem Gebet, das darin gesprochen wird, und mit
jedem Toten, der darin beweint wird. Sie ist kein Kraftwort, aber sie
wird ein Kraftort, indem sie Menschen heiligen mit ihren Tränen und mit
ihrem Jubel. Ich muss im heiligen Raum nicht eloquent sein. Ich muss mir
nicht in Dauerreflexion und Dauerberedung sagen, wer ich bin; was der
Sinn und das Ziel des Lebens und des Sterbens ist. Der Raum redet zu mir
und erzählt mir die Geschichte und die Hoffnung meiner Toten und
lebenden Geschwister. Und so baut er an meinen Wünschen und an meinen
Lebensvisionen. Es ist kein ästhetisches Urteil, wenn ich sage, dass
alte Kirchen mir lieber sind als die neuen. Alte Kirchen haben mehr
Vergangenheit, sie erzählen mehr.
Wozu brauche ich eine Kirche? Der heilige Raum
arrangiert meine Gebete. Ich will ein einfaches Beispiel
erzählen. Wir hatten die Angewohnheit, unseren Enkeln Märchen auf der
dritten Treppenstufe in unserem Haus zu erzählen. Es war kein besonderer
Kraftort, aber das Aufsuchen dieser Stelle arrangierte uns für die
Erzählung fantastischer Geschichten. Der Ort brachte uns in eine Rolle:
dort sind wir die Geschichtenerzähler oder die Geschichtenhörer. Der
Kirchenraum arrangiert uns und bringt uns in eine Rolle: dort sind wir
die Beter, die Hörer; wir sind die Singenden und die Nachdenklichen. Wir
sind es anders als zuhause im Wohnzimmer oder im Arbeitszimmer. Räume
bauen an unserer Innerlichkeit. Darum sprechen wir dort anders,
verhalten uns anders, werden ruhiger oder auch unruhiger durch die Ruhe
der Räume. Räume erbauen uns, wenn wir uns erbauen lassen.
Ich habe es immer als Problem empfunden, dass die
Stimme des Kirchenraumes unhörbar gemacht wird durch lautes Gerede vor
dem Gottesdienst. Damit lässt man nicht zu, dass der Raum einen erbaut.
Das Gelärme zerstört die Fremdheit des Raumes, die ein köstliches Gut
ist.
Die heiligen Räume haben heute ihr Problem mit
uns. Wir lieben die Fremde nicht! In narzisstischen Lagen versuchen
Menschen, alles sich selber gleich zu machen und sich alles anzueignen.
Sie wollen sich dauernd selber vorkommen, sie wollen die Wärme und die
Unmittelbarkeit einer sich selbst feiernden Gruppe. Und so soll es auch
im Gottesdienst und in der Kirche gemütlich sein wie zuhause im
Wohnzimmer.
Je individueller und je formloser die einzelnen und die Gruppen
vorkommen, um so authentischer scheint der Gottesdienst zu sein. Die
Selbstfeier der Gemeinde wird zur Gottesdienstabsicht. Dieser
Selbstfeier werden die Texte, die Formen und manchmal auch die Räume
unterworfen. Die Gemeinde will unmittelbar zu sich selber sein, und so
verliert der Gottesdienst seine Fremdheit, seine Andersheit. Das
Verhalten der Menschen wird ununterscheidbar vom Verhalten zuhause, im
Wirtshaus oder auf einer Party. Die Sakralität der
Handlung und des Raumes wird nicht aufgehoben, wie oben beschrieben,
durch das prophetische Wissen um die Heiligkeit aller Orte, sie wird
zerstört durch die Banalität narzisstischer Allgegenwart. Die
alten Räume stellen sich in ihrer Fremdheit zum Glück solchen Versuchen
noch in den Weg, damit wird die Komik solcher Selbstinszenierungen
wenigstens durchschaubar. Ich hoffe, die Kirchen behalten ihre Fremde
und das narzisstische Selbstinteresse findet keinen Niederschlag in
Kirchbaukonzepten.
Wozu brauche ich eine Kirche? Der heilige Raum
ist der fremde Raum, nur in der Fremde kann ich mich erkennen.
Der Raum erbaut mich, insofern er anders ist als die Räume, in
denen ich wohne, arbeite und esse. Ich kann mich nicht erkennen; ich
kann mir selbst nicht gegenübertreten, wenn ich nur in Räumen und
Atmosphären lebe, die durch mich selbst geprägt sind, die mir allzu sehr
gleichen und die mich wiederholen. Die Räume, die mich spiegeln – das
Wohnzimmer, das Arbeitszimmer – gleichen mir zu sehr.
Der fremde Raum ruft mir zu: Halt! Unterbrich
dich! Befreie dich von deinen Wiederholungen. Er bietet mir eine
Andersheit, die mich heilt, gerade weil sie mich nicht wiederholt,
sondern mich von mir wegführt. Kirchen heilen, insofern sie nicht sind
wie wir selber. Ich war vor kurzem in einer modernen Kirche, die mich
etwa so sehr berührte wie der Seminarraum, in dem ich meine
Veranstaltungen abhalte. Er war arenaartig angelegt, auf jeder Stufe
fanden sich ausreichend Sitzkissen für die Bequemlichkeit der Besucher.
Der Altar war als solcher nicht zu erkennen. Man konnte ihn als kleinen
Tisch oder als Lesepult betrachten. Der Raum war hell und bis zum Gähnen
geheimnislos. Er enthielt einige geschmackvolle Plakate. Er wies in
nichts über sich selbst hinaus. Es war ein erwartbarer Raum. Er hat mich
nicht gebildet, weil er mir nicht entgegentrat, weil er mir nicht
Einhalt gebot. Er hat mich nicht still gemacht, und es wäre unnatürlich
gewesen, in diesem Raum mit meinem Nachbarn nicht zu plaudern. Es war
ein Parlatorium, in dem es natürlich war zu parlieren und der einen
Parliergottesdienst mit einer Parlierpredigt arrangierte. Ich vermute,
dass die Fremdheit eines Raumes vor allem durch seine Langsamkeit
hergestellt wird. Eine Kirche wird also gerade nicht ein Erlebnisraum
sein, sondern ein karger Raum, ein präziser Raum; ein Raum, der mit
geringen Mitteln arbeitet, ein Raum der Disziplin, ein Raum, der sich
wehrt gegen die Superlative, von denen wir täglich umgeben sind. ...
Eine Kirche ist ein Raum des Hörens.
Über weite Strecken im Gottesdienst hören wir zu. Wir hören die
Orgel, wir hören die Geschichten, wir hören die Predigt. Ein guter Raum
verhilft zu einer anderen Weise des Hörens, als wir es aus einem
Vortragssaal gewohnt sind. Das Hören ist meditativer. Man will nichts
von den Bildern, Texten und Musiken, die man hört. Man will kommen
lassen, was kommen will. Man ist Gastgeber der Bilder und der Texte. Man
will sie nicht besitzen, nicht erjagen. Man will die Gebete und das
Glaubensbekenntnis nicht füllen mit der eigenen Existentialität. Man
lässt sich von ihnen in den Glauben von vielen ziehen.
Sich nicht wehren und nichts beabsichtigen ist die hohe Kunst eines
meditativen Verhaltens. Diese Haltung aber hat es in der Welt der Macher
nicht leicht. Die macherischen Fähigkeiten sind in unserem Kulturkreis
ins Immense gewachsen, und die pathischen Begabungen verkümmern. Wir
fühlen uns allein als Macher gerechtfertigt, und unser Selbstverständnis
bricht zusammen, wo wir als Macher an unsere Grenzen stoßen. Kann
man in einer solchen Kultur auf etwas anderes hoffen als auf die eigene
Stärke? Kann man sich hergeben? Kann man sich entlassen in das große
Geheimnis der Welt? Wo wir auf diese imperiale Weise mit uns selber, mit
der Natur, mit den Tieren umgehen, da verlieren wir unsere passiven
Stärken: die Geduld, die Langsamkeit, die Stillefähigkeit, die
Aufnahmefähigkeit, das Hören, das Warten, das Lassen, die Gelassenheit,
die Ehrfurcht und die Demut. Wir verlieren die Kunst der Endlichkeit und
der Bedürftigkeit.
Der Raum, der die passiven Stärken des Menschen ehrt und stärkt, darf
nicht völlig zentralisiert sein. Er müsste den Menschen konzentrieren
und schweifen lassen. Er darf nicht bannen wie der
Kölner Dom in
seiner vollkommenen Ausgerichtetheit, er darf nicht kokettieren und
verführen wie die
Birnau. Er darf nicht von fader linearer und funktionalistischer
Klarheit sein, wie manche neue Kirchen. Als wir noch in Köln wohnten,
sind wir ebenso viel in katholische wie in protestantische Gottesdienste
gegangen. Unsere Kinder waren die katholischen reich geschmückten
Kirchen gewöhnt. Bei einem Urlaub kamen wir in Holland in eine strenge
und kahle calvinistische Kirche. Unsere damals dreijährige Tochter sah
sich um und stellte kategorisch fest: Is’ kein Gott drin! Ich möchte die
katholische und die protestantische Begabung würdigen; die katholische
Vorliebe für die Augenschönheiten und die protestantische für die
Ohrenschönheiten und für die Skepsis gegen die Augenschönheiten.
Der Glaube entwirft Bilder, und er birgt sich in
die Bilder der Toten. Ein bildloser Glaube ist ein trostloser Glaube. In
allen Grundsituationen seines Lebens kommt der Mensch nicht mit der
puren Sagbarkeit aus. Die Sprache selber drängt in die Bilder. In der
Bedrohung des Lebens reden wir von der anderen Stadt, in der alle Tränen
abgewischt sind und in der der Tod nicht mehr sein wird noch Leid noch
Geschrei. Wir reden vom Land, in dem die alten Gesetze nicht mehr
gelten und in dem alles neu ist; so neu, dass die Blinden sehen, die
Stummen ihren Gesang gefunden haben und die Lahmen ihren Tanz. Die
Sprache verliert ihre Begrenzung und fängt an zu fliegen. Diese Bilder
sind Flüge der Hoffnung. Sie sind keine Fotos und sie halten nichts
fest. Die Sprache kommt nicht mehr mit sich selber aus. Wie eine Welle
die andere bricht und überholt, so überpurzeln sich die Bilder. Das Bild
selber bricht das Bild und wird bilderstürmerisch. Bilder lehren uns
wünschen, und je unbescheidener sie sind, um so mehr entheimaten sie uns
aus der faulen Gegenwart. Bilder lehren uns die Sehnsucht nach dem Land
des Jauchzens und nach einem unkompromittierten Leben. Und so wird der
Mensch mit seiner gebildeten Sehnsucht zu einem unsicheren Kantonist in
seiner eigenen Gegenwart. Er fühlt sich überall, wo die Blinden noch
nicht sehen und die Lahmen noch nicht springen, an den Flüssen Babylons,
auch am Rhein, an der Elbe und am Mississippi. Wer in seinen Träumen
gebildet ist, ist ein Ausländer – überall. ...
Eine öffentliche Kirche ist eine geöffnete Kirche, zunächst im Sinne des
Wortes. Wenn es wahr ist, dass der Raum unsere Gebete und unsere Ruhe
arrangiert, dann muss er auch zugänglich sein. Eine öffentliche Kirche
ist eine sich selber erklärende und zeigende Kirche. Ich denke hier vor
allem dankbar an die neuen Konzepte und Praktiken der Kirchenpädagogik.
Es ist ein Stück Mission. Christen erklären anderen, welche Schätze sie
haben und was sie lieben. Mission heißt, zeigen, was man liebt. Was man
liebt, das zeigt man, und man hält es nicht in einem geheimen Winkel.“
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»Sieht man vom Markt in die Kirche hinein
Da ist alles dunkel und düster;
Und so sieht's auch der Herr Philister …
Kommt aber nur einmal herein!
Begrüßt die heilige Capelle;
Da ist's auf einmal farbig helle«
(J. W. von Goethe, Gedichte sind gemahlte Fensterscheiben, in: ders.,
Werke, hg. im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen, 1. Abt., Bd.
3, 1890 (Nachdr. 1987), 171, 171,2–4)
Kirchengebäude neu
entdecken - Evangelischer Kirchbautag 2005 in
Stuttgart
Stuttgart (epd).
Kirchengebäude sind nach den Worten des Ratsvorsitzenden der
Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber,
Schlüsselräume für die Zukunft der Kirche. Deshalb müssten sie stärker
als bisher mit Leben erfüllt werden, betonte der Berliner Bischof auf
dem
25. Evangelischen Kirchbautag am
Freitag in Stuttgart. Nach dem Bauboom der Nachkriegszeit müsse die
evangelische Kirche «ihre starken Kirchen» als Kernräume des
Gemeindelebens wieder entdecken.
Angesichts der «Wiederkehr der Religion» komme dem Erhalt der Kirchen
eine zentrale Bedeutung zu, unterstrich der oberste Repräsentant der
rund 26 Millionen Protestanten. Huber stellte dabei die Verteidigung der
Kirchenräume in eine Reihe mit der Bewahrung der Feiertage sowie dem
Eintreten für dem Religionsunterricht als ordentliches Schulfach. Der
Umgang mit kirchlichen Räumen gehöre aktuell zu den «symbolisch
wichtigen Kämpfen», an denen sich die Auseinandersetzung der Moderne mit
ihrem christlichen Erbe zeige.
Allerdings werde die evangelische Kirche ihren Grundstücks- und
Häuserbestand nicht komplett erhalten können, räumte Huber ein. Eine
Abschmelzung ihres Immobilienbesitzes müsse man auch im Hinblick auf die
Entwicklung der Altersstruktur der Bevölkerung und die Situation der
kirchlichen Finanzen als unerlässlich anerkennen, erklärte der
EKD-Ratsvorsitzende.
Derzeit gibt es in Deutschland nach Hubers Angaben mehr als 21.000
evangelische Kirchen, über 2.500 evangelische Friedhofskapellen und mehr
als 3.100 evangelische Gemeindezentren mit Gottesdiensträumen. Der
Erhaltungs- und Instandsetzungsbedarf für sie werde auf etwa sechs
Milliarden Euro beziffert.
Die Verringerung des kirchlichen Gebäudebestandes dürfe sich aber nur
zuallerletzt auf Kirchengebäude beziehen, empfahl der Berliner Bischof.
Zuvor müsse man sich von anderen Gebäuden wie Wohnungen, Gemeindehäusern
oder auch Pfarrhäusern trennen. Ein Abbruch von Kirchengebäuden sei
einer Fremdnutzung, die dem Ansehen der Kirche schade, vorzuziehen:
«Schon eine sehr geringe Zahl von Kirchen, die als Diskotheken, als
Einkaufszentren oder als Fischrestaurants genutzt werden, gefährdet den
Symbolgehalt auch anderer Kirchengebäude.» Wegen des hohen Symbolwertes
einer Kirche sei ihre Nutzung etwa als Moschee ausgeschlossen.
Hauptthema des Kirchbautags, an dem bis Sonntag Architekten, Pfarrer,
Denkmalschützer und Mitarbeiter kirchlicher Baureferate teilnehmen, ist
die Zukunft von Kirchengebäuden in wirtschaftlich schwierigen Zeiten.
Dabei geht es um Fragen von Umbau, Erhalt, möglichem Verkauf und
Fremdnutzung von Gotteshäusern.
30. September 2005
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