Mobbing in der Kirchen:
Es gibt nur Verlierer
"Von
allen guten Geistern verlassen"/ Von Sabine Sunnus
(Auszug)
Mobbing ist ein hässliches Thema,
überall, wo es auftaucht. Mobbing in der Kirche
bekommt noch ein Adjektiv dazu: unglaublich. Unglaublich im wahren Sinn
des Wortes. Denn dort wo innerhalb der Institution Kirche Mobbing benutzt,
gefördert und bis zum bitteren Ende durchgeführt wird, stehen die nicht
betroffenen Menschen vor einem Phänomen, das sie einfach nicht glauben.
Sie wollen nicht glauben, dass es »das« in der Kirche gibt. In der Wirtschaft,
klar. Bei der Polizei, in Krankenhäusern, das hat man schon gehört.
Na gut, in der Kirche menschelt es, warum soll es da anders zugehen?
Ein Konflikt, einzelne Ausrutscher, ja, wo gibt es die nicht? Aber »Mobbing«
– innerhalb der Kirche, gar an Pfarrern oder Pfarrerinnen, nein, damit
möchte man nichts zu tun haben. Das ist dummes Geschwätz.
Leider nicht. Und es nutzt auch nichts, den Kopf in den Sand
zu stecken. ...
Was ist Mobbing?
Eine der ersten Fragen ist immer: »Woran erkennt man Mobbing?« Denn:
Kann es nicht sein, dass jemand »Mobbing« schreit, wo lediglich eine
Meinungsverschiedenheit besteht und die betreffende Person damit nicht
klar kommt? Schließlich sei Mobbing doch ein Modethema. Und: Hat es
das nicht schon immer gegeben?
Ja, das hat es. Auch lang zurückliegende Fälle, die bei D.A.V.I.D
(Verein gegen Mobbing in der evang. Kirche) bekannt sind, zeigen
es. Doch die Gangart, die Unverfrorenheit und die Inkaufnahme öffentlicher
Schädigungen des gesamten kirchlichen Umfeldes bei jedem einzelnen Mobbingfall
hat offenbar zugenommen. Bereits im Beobachtungszeitraum von cirka 7
Jahren, also 2 Jahre vor der Gründung des Vereins, ist bei D.A.V.I.D.
und innerhalb seiner Vernetzung mit anderen Gruppen in verschiedenen
Landeskirchen eine solche Tendenz deutlich auszumachen. »Der Umgangston
unter Christen wird nach Ansicht von evangelischen Seelsorgern rauer«
so eine Meldung im Deutschen Pfarrerblatt 9/2000. Der frühere Leiter
der evangelischen Einrichtung »Respiratio« auf dem fränkischen Schwanberg,
Hartmut Stoll, hatte sich damals schon in den »Nachrichten der Evangelisch
Lutherischen Kirche in Bayern« dahingehend geäußert: » Immer wieder
wird uns vom Druck, von Intrigen, übler Nachrede und Mobbing berichtet.«
Und er führt eine deutliche Zunahme von Krisen auf strukturell begünstigte
Rivalitäts- und Kompetenzkonflikte zurück. Zugleich, so die Meldung,
fehle innerhalb der Kirche oft die Fähigkeit, Konflikte zu regeln und
Kompromisse auszuhandeln. In der evangelischen Kirche sei eine bessere
Personalführung und Personalpolitik nötig.
Als »Psychoterror am Arbeitsplatz« hatte der Arbeitspsychologe und Professor
für Arbeitswissenschaften in Schweden Heinz Leymann das Phänomen erstmalig
für Europa in seinem 1993 erschienenen Buch »Mobbing« bezeichnet. Mittlerweile
ist er der »Klassiker«, auf dem die Bewusstseinsschritte in der Öffentlichkeit,
Wirtschaft und Justiz aufbauen und der Dynamik entsprechend weiter entwickelt
werden. Mobbing kommt von »mob« (engl.) gleich »Volksmassen, Pöbelhaufen«,
auch »Gesindel« und »Bande«, sowie »to mob« gleich »zusammenrotten«
und »herfallen über« (jemanden/ etwas). Und Mobbing geschieht am Arbeitsplatz
und kommt gegen Einzelne sowie gegen Gruppen vor, wird systematisch
betrieben und linear. Die Häufigkeit und Qualität der Angriffe sind
auf das Individuum abgestimmt. Die Angriffe zielen auf die Stabilität
der Person, sollen diese zerstören.
»Der Begriff Mobbing beschreibt negative kommunikative Handlungen, die
gegen eine Person gerichtet sind (von einer oder mehreren anderen) und
die über einen längeren Zeitraum hinaus vorkommen«, definiert Leymann.
Da Kommunikation der wesentliche Bestandteil sozialer Beziehungen ist,
zielt das Mobbing in erster Linie auf deren Zerstörung.
Die Merkmale sind Konfrontation, Belästigung, Nichtachtung der Persönlichkeit
und Häufigkeit der Angriffe über einen längeren Zeitraum. Das wiederum
geschieht nach Leymann »durch
- Angriffe auf die Möglichkeit, sich mitzuteilen,
- Angriffe auf die sozialen Beziehungen,
- Angriffe auf das soziale Ansehen,
- Angriffe auf die Qualität der Berufs- und Lebenssituation,
- Angriffe auf die Gesundheit.
Auf diese Weise können auch Allerweltshandlungen, denen man mobbende
Effekte gar nicht zutrauen sollte, einen Menschen zerbrechen. Sie machen
ihn mürbe, erzeugen dauernde Angst. Nackte Existenzangst.«
Und diese ist gewollt. In dem sich aufbauenden System von Mobbing soll
die Persönlichkeit weitestgehend zerstört werden. Methodisch nutzen
die Betreibenden zum Ausbau ihrer Vernichtungsstrategie normale Schwächen
und/oder/»wunde Punkte« der Persönlichkeit – solche sind bei jeder,
bei jedem zu finden. Sie suchen und provozieren Fehler, schikanieren,
verleumden, verbreiten Lügen und Falschaussagen, sie verbreiten ehrenrührige
Gerüchte, schneiden die Person vom Informationsfluss ab und setzen sie
immer neuen und völlig unerwarteten Attacken in unregelmäßigen Abständen
aus. Über Einflussnahme und Druck auf das personelle Umfeld durch Einschüchterung
und andere Methoden wird der/die Betroffene isoliert. Eine Person, die
keine Chance hat, mit ihren Argumenten aufgenommen zu werden, wird nach
Leymann »ungehört hingerichtet«.
Mobbing ist also keineswegs ein bisschen Klatsch und Tratsch über eine
dritte Person, die sich dann ärgert. »Mobbing ist kriminell und das
Umfeld mafiös«, sagt der Münchner Rechtsanwalt Thomas Etzel (Interview
Frankfurter Rundschau, 12. Juni 2002). Er hatte sich mit anderen Juristen
und Experten (Medizinern und Psychologen) zusammengetan, um die Rechte
von Mobbing-Opfern zu stärken. Vorausgegangen waren zwei Trend setzende
Urteile am Landesarbeitsgericht Thüringen, wonach der Richter und Vizepräsident
Dr. Peter Wickler dem Mobbing ein klares Stopp entgegengesetzt hat:
Er hatte einen Arbeitgeber unter Auflagen zur Unterlassung des Mobbing
verurteilt, und er hatte die fristlose Kündigung eines Mannes, der seinen
Kollegen bis zum Selbstmordversuch schikaniert hatte, bestätigt. In
dem von ihm und drei Kolleg/in/en herausgegebenen »Handbuch Rechtsgrundlage
gegen Mobbing« lautet die juristische Definition folgendermaßen:
»Der Begriff Mobbing erfasst fortgesetzte, aufeinander aufbauende oder
ineinander übergreifende, der Anfeindung, Schikane oder Diskriminierung
dienende Verhaltensweisen, die nach ihrer Art und ihrem Ablauf im Regelfall
einer übergeordneten, von der Rechtsordnung nicht gedeckten Zielsetzung
förderlich sind und jedenfalls in ihrer Gesamtheit das allgemeine Persönlichkeitsrecht
oder andere geschützte Rechte wie Gesundheit und Ehre verletzen.«
Danach ist Mobbing eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts,
das im Grundgesetz Art. 1 und 2 den Wert- und Achtungsanspruch des Menschen
schützt.
Auf EU-Ebene sind dem Verein D.A.V.I.D. Bestrebungen bekannt, eine mehraktige
Persönlichkeitsrechtsverletzung, die Mobbing als solches wirksam macht,
in das Menschenrecht und dessen Verletzungen einzureihen.
Sieht man auf die Folgen von Mobbing, ist das nur allzu plausibel: Die
beginnen mit Verunsicherung, Befindlichkeits- und Schlafstörungen sowie
ersten Anzeichen von Angst vor dem Arbeitsplatz. Schleichend entwickeln
sich ernsthafte Krankheitssymptome wie Herzrasen und Herzrhythmusstörungen,
Kopf- und Magenschmerzen, Übelkeit, Durchfall und Erbrechen, Bewegungsschwäche
in den Gliedern sowie Muskel- und Nervenschmerzen. Und dies alles weitet
sich aus zu manifesten Krankheitsbildern. Das Selbstwertgefühl sackt
auf einen Tiefpunkt, im schlimmsten Fall endet Mobbing mit Suizid.
Eine allgemein gültige Feststellung ist aber auch: Nicht nur der einzelne
Mensch verliert seine Gesundheit und sein Grundrecht, Mobbing richtet
auch erheblichen (volks)wirtschaftlichen Schaden an. Ganz zu schweigen
von den immensen Kosten, die die Krankenkassen tragen müssen, anstatt
diese bei den Tätern festmachen zu können. Denn eine weitere Erkenntnis
ist: Mobbing ist ein Leitungsproblem. Mobbing kann rechtzeitig unterbunden
werden. Die Voraussetzung dafür ist allerdings: Es muss gewollt werden.
Mobbing innerhalb der Kirche
Der Hauptgrund dafür, dass Mobbing Menschen zu Grunde richtet, liegt
in der Tatenlosigkeit des Umfeldes: im Wegsehen, im Geschehenlassen
und dass niemand rechtzeitig eingreift. Martin Niemöller soll einmal
gesagt haben: »Zuschauen und Nichtstun, das ist die eigentliche Sünde«.
Der Bezugspunkt liegt in unserer Geschichte, aber das Zitat gilt auch
hier und heute - im Mobbingfall für das Allernächstliegende.
Immerhin beinhaltet der Arbeitsplatz Kirche, haupt- oder ehrenamtlich,
bestimmte Erwartungen an einen Umgangstil,
der dem Reden vom christlichen Handeln entspricht. Nicht nur bei Betroffenen,
sondern ganz genau so bei einer engagierten Öffentlichkeit und natürlich
bei argwöhnisch beobachtenden Außenstehern. Umso unverständlicher ist
dann die Beobachtung, dass gerade in der Kirche außer den rührigen Betreibern,
»alle Welt« abtaucht. Noli me tangere – sonst müsste man Stellung beziehen.
Die Erfahrungen bei D.A.V.I.D. sind beschämend vor allem im Bereich
der Pfarrerschaft und den leitenden Gremien und Personen. Steht es im
Einverständnis mit der betroffenen Person, unterrichtet der Verein die
Vorgesetzten oder/ und die Leitung bis hin zum Kirchenpräsidenten bzw.
Bischof. Da kann niemand mehr sagen: Das habe ich nicht gewusst.
In einem exemplarischen Fall von Mobbing an einem Pfarrer durch Teile
seines Kirchenvorstandes mit Billigung und Bekräftigung des Dekans,
der Pröpstin und schließlich der Kirchenleitung hat D.A.V.I.D. einen
Auszug aus der Dokumentation auch an die Mitglieder der betreffenden
Kirchensynode geschickt. Eine der Rückmeldungen von zwölf Prozent brachte
den offensichtlichen Zwiespalt auf den Punkt: »Es ist sehr ehrenwert,
dass Sie sich um Mobbing kümmern und ich bin auch dagegen, aber bitte
nehmen Sie in Zukunft Abstand von solchen Informationen.«
Zerstören diese das kuschelige Wunschbild von Kirche? Am Stammtisch
oder bei Festen sind ja auch alle wirklich nett und charmant und witzig
und man fühlt sich wohl in dieser Gesellschaft. Wer möchte da schon
raus fallen?
Im Konfliktfall allerdings offenbart sich zumindest bei Mobbing eine
schwer wiegende mangelnde (Leitungs-)Professionalität. Und da diese
auch etwas mit gelebtem Glauben und glaubwürdig getragener Theologie
zu tun hat, sinkt mit dieser Erfahrung bei allen aktiven wie passiven
Zuschauern, aber ganz besonders bei der betroffenen Person das Vertrauen
in die Institution ganz rapide. Und jedes Entsetzen über solche Vorgänge
nagt auch am Glauben selbst – bis hin zur Entwurzelung.
...
Lesen Sie hier
den ganzen Artikel
(Deutsches Pfarrerblatt, Nr. 5/2006)
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Was ist Mobbing?
"Die Merkmale sind Konfrontation, Belästigung,
Nichtachtung der Persönlichkeit und Häufigkeit der Angriffe über einen
längeren Zeitraum. Das wiederum geschieht nach Leymann »durch
-
Angriffe
auf die Möglichkeit, sich mitzuteilen,
-
Angriffe
auf die sozialen Beziehungen,
-
Angriffe
auf das soziale Ansehen,
-
Angriffe
auf die Qualität der Berufs- und Lebenssituation,
-
Angriffe
auf die Gesundheit.
Auf diese
Weise können auch Allerweltshandlungen, denen man mobbende Effekte gar
nicht zutrauen sollte, einen Menschen zerbrechen. Sie machen ihn mürbe,
erzeugen dauernde Angst. Nackte Existenzangst.«"
"Die Gangart, die Unverfrorenheit
und die Inkaufnahme öffentlicher Schädigungen des gesamten kirchlichen
Umfeldes bei jedem einzelnen Mobbingfall hat offenbar zugenommen."
"Über Einflussnahme und
Druck auf das personelle Umfeld durch Einschüchterung und andere Methoden
wird der/die Betroffene isoliert. Eine Person, die keine Chance hat,
mit ihren Argumenten aufgenommen zu werden, wird nach Leymann »ungehört
hingerichtet«."
"Nicht nur der einzelne
Mensch verliert seine Gesundheit und sein Grundrecht, Mobbing richtet
auch erheblichen (volks)wirtschaftlichen Schaden an. Ganz zu schweigen
von den immensen Kosten, die die Krankenkassen tragen müssen, anstatt
diese bei den Tätern festmachen zu können. Denn eine weitere Erkenntnis
ist: Mobbing ist ein Leitungsproblem. Mobbing kann rechtzeitig unterbunden
werden. Die Voraussetzung dafür ist allerdings: Es muss gewollt werden.
"
"Umso unverständlicher ist
dann die Beobachtung, dass gerade in der Kirche außer den rührigen Betreibern,
»alle Welt« abtaucht. Noli me tangere – sonst müsste man Stellung beziehen.
Die Erfahrungen bei D.A.V.I.D.
sind beschämend vor allem im Bereich der Pfarrerschaft und den leitenden
Gremien und Personen. Steht es im Einverständnis mit der betroffenen
Person, unterrichtet der Verein die Vorgesetzten oder/ und die Leitung
bis hin zum Kirchenpräsidenten bzw. Bischof. Da kann niemand mehr sagen:
Das habe ich nicht gewusst.
In einem exemplarischen
Fall von Mobbing an einem Pfarrer durch Teile seines Kirchenvorstandes
mit Billigung und Bekräftigung des Dekans, der Pröpstin und schließlich
der Kirchenleitung hat D.A.V.I.D. einen Auszug aus der Dokumentation
auch an die Mitglieder der betreffenden Kirchensynode geschickt. Eine
der Rückmeldungen von zwölf Prozent brachte den offensichtlichen Zwiespalt
auf den Punkt: »Es ist sehr ehrenwert, dass Sie sich um Mobbing kümmern
und ich bin auch dagegen, aber bitte nehmen Sie in Zukunft Abstand von
solchen Informationen.«"
"Im Konfliktfall allerdings
offenbart sich zumindest bei Mobbing eine schwer wiegende mangelnde
(Leitungs-)Professionalität. Und da diese auch etwas mit gelebtem Glauben
und glaubwürdig getragener Theologie zu tun hat, sinkt mit dieser Erfahrung
bei allen aktiven wie passiven Zuschauern, aber ganz besonders bei der
betroffenen Person das Vertrauen in die Institution ganz rapide. Und
jedes Entsetzen über solche Vorgänge nagt auch am Glauben selbst – bis
hin zur Entwurzelung."
"Der ehemalige Superintendent
im Tecklenburger Land in Westfalen, Wilhelm Wilkens, hat in seinem jüngst
erschienenen Buch »Pfarrer im Umbruch von Kirche und Gesellschaft« festgehalten,
was er den jungen Theologen mitgegeben hat: »Gründen Sie sich nach Kräften
im Evangelium, aber verkaufen Sie sich nie an die Kirche. Sie können
ihr nur dienen, indem sie sie bei allem Respekt auch kritisch begleiten.«
Davon hängt auch ab, wie lange es dauern wird, bis das Phänomen Mobbing
in der evangelischen Kirche als das Unrecht angesehen wird, was es ist.
Bis sich die Kriterien als selbstverständlicher Checkup bei Personalangelegenheiten
in den Köpfen der Verantwortlichen einnisten, so dass kein Wegsehen,
keine falsche Verteidigung mehr den Machtkampf auf die Spitze treiben
muss." (Sabine Sunnus)
"Ich habe nicht gesagt, dass es Ihre
Schuld ist - ich habe nur gesagt,
dass Sie dafür büßen werden."
Mit freundlicher
Genehmigung des englischen Karikaturisten
Ian Baker.
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