Predigt     Gemeindefest in Hospital     17.06.18

"Ein Schiff, das sich Gemeinde nennt"
(von Pfarrer Johannes Taig, Hospitalkirche Hof)
 

Liebe Leser,

erinnern Sie sich noch an letztes Jahr? Da haben wir kleine Schiffchen gebastelt. Nach einer Gebrauchsanweisung. Nicht immer kam ein Schiff dabei heraus. Glaube – eine Gebrauchsanweisung fürs Leben, so hieß im letzten Jahr unser Motto. Gott sei Dank sorgt schon Gott dafür, dass aus unserem Leben doch noch etwas wird, wenn alle unsere Versuche ins Leere laufen. Glaube ist nicht Selbstvertrauen, sondern Vertrauen in Gott und in seinen guten Willen mit uns.

Das Bild vom Schiff hat uns seitdem nicht losgelassen. Deshalb haben wir uns für heute noch einmal ein Schiff basteln lassen. Der Pfarrer Jörg Zink, der im September 2016 in hohem Alter verstorben ist, hat sich mit Schiffen ausgekannt. Als junger Mann musste er als Flieger am 2. Weltkrieg teilnehmen. Er erzählt uns heute von einem Erlebnis, das er nie mehr vergessen hat (nach Jörg Zink, Du bist getauft, Burkhardthaus-Verlag, 16. Auflage, 1977):

„Wo das Wasser nicht gebändigt ist, bringt es leichter den Tod als das Leben, und so wenig ein Baum ohne Wasser leben kann - im Wasser kann er es auch nicht. Und so herrlich es ist, mit einem Schiff die Gewalt des Sturmes und der Wellen zu bestehen, so unentrinnbar tödlich kann das Wasser für dasselbe Schiff sein. Ich habe es gesehen, wenn Flugzeuge ins Wasser stürzten oder Schiffe untergingen und keiner mehr gerettet werden konnte, weil der Sturm tobte. Einmal wurde ich selbst über dem Meer abgeschossen. Zusammen mit zwei Besatzungskameraden fiel ich 200 Seemeilen vom Land in die Biskaya. Brennend, steuerlos stürzte die Maschine ab, und weil das Kabinendach verklemmt war, konnten wir nicht aussteigen, uns nicht mit dem Fallschirm retten. Und so schlugen wir in der geschlossenen Kabine ins Wasser, bis die Maschine tief unten, in vollkommener Finsternis, auseinanderbrach und wir hinausgeschwemmt wurden. Wir - eigentlich muss ich sagen: zwei von uns. Der dritte, der Pilot, überlebte schon den Aufschlag nicht.

Und dann trieben wir in der Schwimmweste, in der eisigen Kälte, - es war Anfang April - und warteten, ob uns einer finden würde. Aber auch, als eine unserer Maschinen uns entdeckt hatte, hatten wir noch nicht viele Chancen. Denn es war Nachmittag und es wurde früh dunkel. Wasserflugzeuge konnten nicht helfen, weil die See zu unruhig war - und Schiffe? Schnelle Schiffe brauchten einen halben Tag, um bis zu uns zu kommen. Sechs Stunden kann ein Mensch leben, der so im Wasser treibt. Bei Nacht konnte man uns nicht finden und den anderen Morgen würden wir nicht mehr erleben. Das war die Lage.

Seither weiß ich ungefähr, was es mit dem Wasser auf sich hat. Es ist wirklich nichts für uns Menschen. Im Wasser können wir nur umkommen, über kurz oder lang, wenn uns nicht beizeiten einer findet und herauszieht (…). Manchmal geht ein kleiner Dampfer (…) einsam zugrunde und es hilft nicht viel, dass einer aus einem Flugzeug noch eben eine Aufnahme macht, ehe das Ende kommt und das Wasser sich über dem Schiff und den Menschen schließt.

Als Jesus seinen Tod kommen sah, da nahm er einmal das Wasser als Gleichnis und sagte: Ich muss mich taufen lassen und mir ist bange davor. Er meinte: Ich muss sterben und man wird mich begraben. Denn die Bibel sagt so: Wer in diese Welt kommt, der kann sicher sein, dass er über kurz oder lang darin sterben wird. Nicht nach sechs Stunden, aber - ebenso sicher - nach irgendeiner längeren Zeit (…).

Und noch eins: Wer in diese Welt hereinkommt, der gerät in ein Meer von Jammer und Elend. Selbst wenn es ihm selber gut geht, umgibt ihn dieses Meer, wenn er es nur sehen will: ein Meer von Schmerzen, von Krankheit und Einsamkeit, von Angst und Enttäuschung. Man kann die Augen schließen und so tun, als gebe es das nicht. Wer es sieht, geht darin unter - oder er wird durch ein Wunder Gottes gerettet. (…)

So singt der Dichter des 93. Psalms und schildert seine ganze Verzweiflung: Herr, die Wasser erheben sich, die Wasser erheben ihr Brausen, die Wasserströme heben ihre Wellen empor - die Wasserwogen im Meer sind groß und brausen mächtig. Der Herr aber ist noch größer in der Höhe. (…)

Als damals wie durch ein Wunder ein Schiff aus dem Nebel auftauchte, das zufällig in der Nähe war, beidrehte und uns aus dem Wasser zog, da waren wir schon so lahm, dass wir keinen Arm und kein Bein mehr rühren konnten vor Kälte und vor Schwäche. Wir konnten uns nicht einmal mehr an den Ringen festhalten, mit denen man uns herausziehen wollte. Wir waren beide gute Schwimmer, aber damals hingen wir nur noch wie nasse Säcke an einer langen Stange. So holten sie uns heraus. Und wenn es auf unsere Kräfte angekommen wäre, wären wir verlorene Leute gewesen.

Seither verstehe ich die Kindertaufe besser. Denn wer von uns kann etwas dazu tun, dass Gott sich ihm zuwendet? Wer von uns kann etwas dazu tun, dass ihm das Böse abgenommen wird, das er getan hat? (…) Die Taufe ist ein Zeichen für eine Rettung, zu der wir nichts beitragen können, gar nichts. Eigentlich können wir doch unsere eigenen Kräfte erst richtig regen und üben, wenn wir gerettet an Bord des Schiffes sind!

Man sagt in der Biskaya nicht: Wer sich bewährt und tüchtig genug schwimmt, wer zuletzt selber die Strickleiter hinaufklettert, der kann gerettet werden. Aber genau deshalb ist mir die Taufe der kleinen Kinder so wichtig und gerade darum finde ich sie schön: Weil die erwachsenen Leute daran sehen können, wie es uns allen vor Gott geht. Dass wir nämlich keinen Finger rühren können, wenn es um unser Leben und Rettung geht. Da können auch die Erwachsenen nur sagen: Lieber Vater im Himmel, ich bin dein Kind. Hilf mir und rette mich (…). Ich kann es nicht selber. Und hol du selber mich in dein ewiges Reich. Ich kann mit meinen eigenen Kräften nicht dorthin kommen.

Aber du hast recht: Es ist auch gut, dass es immer wieder Erwachsene gibt, die sich taufen lassen, so dass ganz klar ist, dass wir selber auch wenigstens Ja sagen müssen, wenn Gott uns retten will. Bei unserer Taufe oder - lange danach, wenn wir erwachsen geworden sind und das Zeichen der Taufe verstehen können.“

Was soll man nun tun?
Ganz einfach: Auf dem Schiff bleiben.

Als wir uns im April 1944 mit allen möglichen heißen Seemannsgetränken gestärkt hatten, wurden wir wieder munter. Schließlich gingen wir nach oben aufs Deck, während das Schiff mit hoher Fahrt durch einen scharfen Wind nach Hause fuhr. Es war ein starkes und schönes Schiff und es war herrlich, nach Hause zu fahren. Dass die Kirche mit einem Schiff verglichen wird, wird mir bis ans Ende meines Lebens einleuchten. Menschen, die aus dem Wasser gerettet sind, fahren miteinander nach Hause. Das ist der Kurs, den das Schiff der Kirche fährt.

Wie sonderbar, es gibt Menschen, die sagen: Warum auf dem alten Kahn bleiben? Das Meer ist doch so groß! Steig aus und du kannst schwimmen, wohin du willst! Lass dir von keinem was vorschreiben!

Aber denke daran: Das Wasser ist nichts für uns Menschen. Wir schwimmen ein Weilchen darin, bis wir untergehen. Wohl dem, der ein Schiff hat, das ihn sicher nach Hause bringt. Als wir seinerzeit in die Biskaya gefallen waren und einige Stunden lang von einem Wellenberg auf den nächsten und von einem Wellental in das andere geschaukelt worden waren, da war abzusehen, wann wir ganz am Ende sein würden. (…)

Ich kann dir sagen: Es ist ein Unterschied, ob einer im Wasser treibt und alle 6 Sekunden eine eisige, salzige Dusche im Gesicht hat - oder ob er in einer Kajüte sitzt und heißen Tee trinkt. Wir kamen uns wieder wie Menschen vor. Und während wir so gemütlich saßen und unsere Beine wieder bewegten und unsere Arme und wir unsere Tassen wieder halten konnten, fuhr das Schiff nach Hause.

Du sagst: Das ist billig. In der Kajüte sitzen und sich fahren lassen. Da ist es doch viel heldenhafter, selber nach Hause zu schwimmen. Oder, wie mein Onkel sagt: Seinen Gott allein finden. Aber ich bitte dich: Das Leben ist ein Meer und kein Freibad. Wer sich einbildet, er sei allein stark genug, der schwimme einmal 200 Seemeilen durch diesen Seegang nach Hause! Wer begriffen hat, wie klein unsere Kräfte und wie ungeheuer weit der Heimweg zu Gott ist, ist dankbar, dass es ein Schiff gibt: die Kirche. Oder, wenn wir es ohne „Schiff“ sagen: dass es noch andere Menschen gibt, mit denen wir reden können, mit denen wir zusammengehören.

Auf dem Schiff bleiben! Darauf kommt es an. Jedenfalls für Menschen, die an ihr Ziel kommen wollen. Auf dem Schiff bleiben. Sicher, man kann auch sagen, die Kirche könnte ein modernes Schiff sein. Sie dürfte nicht so viel Schrammen haben. Und die Besatzung müsste aus lauter idealen Seeleuten bestehen. Aber ich glaube, wichtig ist, dass das Schiff dorthin fährt, wohin wir kommen wollen: ans Ufer, nach Hause, an das ferne Ufer des Reiches Gottes.

Und wichtig ist, dass Christus mit auf dem Schiff ist und das Steuer fest in der Hand hält. Darauf lass uns vertrauen. Denn weil Christus bei uns ist, darum gehören wir zusammen. Darum reden wir miteinander und darum habe ich dir das alles erzählt. Und darauf lass uns zusammenbleiben.“ Amen.

Pfarrer Johannes Taig    (Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter www.kanzelgruss.de)

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