Liebe Leser, erinnern Sie sich noch an
letztes Jahr? Da haben wir kleine Schiffchen gebastelt. Nach einer
Gebrauchsanweisung. Nicht immer kam ein Schiff dabei heraus.
Glaube – eine Gebrauchsanweisung fürs Leben, so hieß im
letzten Jahr unser Motto. Gott sei Dank sorgt schon Gott dafür, dass
aus unserem Leben doch noch etwas wird, wenn alle unsere Versuche
ins Leere laufen. Glaube ist nicht Selbstvertrauen, sondern
Vertrauen in Gott und in seinen guten Willen mit uns.
Das Bild vom Schiff hat uns seitdem nicht losgelassen. Deshalb haben
wir uns für heute noch einmal ein Schiff basteln lassen. Der Pfarrer
Jörg Zink, der im September 2016 in hohem Alter verstorben ist, hat
sich mit Schiffen ausgekannt. Als junger Mann musste er als Flieger
am 2. Weltkrieg teilnehmen. Er erzählt uns heute von einem Erlebnis,
das er nie mehr vergessen hat (nach Jörg Zink, Du bist getauft,
Burkhardthaus-Verlag, 16. Auflage, 1977):
„Wo das Wasser nicht gebändigt ist, bringt es leichter den Tod als
das Leben, und so wenig ein Baum ohne Wasser leben kann - im Wasser
kann er es auch nicht. Und so herrlich es ist, mit einem Schiff die
Gewalt des Sturmes und der Wellen zu bestehen, so unentrinnbar
tödlich kann das Wasser für dasselbe Schiff sein. Ich habe es
gesehen, wenn Flugzeuge ins Wasser stürzten oder Schiffe untergingen
und keiner mehr gerettet werden konnte, weil der Sturm tobte. Einmal
wurde ich selbst über dem Meer abgeschossen. Zusammen mit zwei
Besatzungskameraden fiel ich 200 Seemeilen vom Land in die Biskaya.
Brennend, steuerlos stürzte die Maschine ab, und weil das
Kabinendach verklemmt war, konnten wir nicht aussteigen, uns nicht
mit dem Fallschirm retten. Und so schlugen wir in der geschlossenen
Kabine ins Wasser, bis die Maschine tief unten, in vollkommener
Finsternis, auseinanderbrach und wir hinausgeschwemmt wurden. Wir -
eigentlich muss ich sagen: zwei von uns. Der dritte, der Pilot,
überlebte schon den Aufschlag nicht.
Und dann trieben wir in der Schwimmweste, in der eisigen Kälte, - es
war Anfang April - und warteten, ob uns einer finden würde. Aber
auch, als eine unserer Maschinen uns entdeckt hatte, hatten wir noch
nicht viele Chancen. Denn es war Nachmittag und es wurde früh
dunkel. Wasserflugzeuge konnten nicht helfen, weil die See zu
unruhig war - und Schiffe? Schnelle Schiffe brauchten einen halben
Tag, um bis zu uns zu kommen. Sechs Stunden kann ein Mensch leben,
der so im Wasser treibt. Bei Nacht konnte man uns nicht finden und
den anderen Morgen würden wir nicht mehr erleben. Das war die Lage.
Seither weiß ich ungefähr, was es mit dem Wasser auf sich hat. Es
ist wirklich nichts für uns Menschen. Im Wasser können wir nur
umkommen, über kurz oder lang, wenn uns nicht beizeiten einer findet
und herauszieht (…). Manchmal geht ein kleiner Dampfer (…) einsam
zugrunde und es hilft nicht viel, dass einer aus einem Flugzeug noch
eben eine Aufnahme macht, ehe das Ende kommt und das Wasser sich
über dem Schiff und den Menschen schließt.
Als Jesus seinen Tod kommen sah, da nahm er einmal das Wasser als
Gleichnis und sagte: Ich muss mich taufen lassen und mir ist bange
davor. Er meinte: Ich muss sterben und man wird mich begraben. Denn
die Bibel sagt so: Wer in diese Welt kommt, der kann sicher sein,
dass er über kurz oder lang darin sterben wird. Nicht nach sechs
Stunden, aber - ebenso sicher - nach irgendeiner längeren Zeit (…).
Und noch eins: Wer in diese Welt hereinkommt, der gerät in ein Meer
von Jammer und Elend. Selbst wenn es ihm selber gut geht, umgibt ihn
dieses Meer, wenn er es nur sehen will: ein Meer von Schmerzen, von
Krankheit und Einsamkeit, von Angst und Enttäuschung. Man kann die
Augen schließen und so tun, als gebe es das nicht. Wer es sieht,
geht darin unter - oder er wird durch ein Wunder Gottes gerettet.
(…)
So singt der Dichter des 93. Psalms und schildert seine ganze
Verzweiflung: Herr, die Wasser erheben sich, die Wasser erheben ihr
Brausen, die Wasserströme heben ihre Wellen empor - die Wasserwogen
im Meer sind groß und brausen mächtig. Der Herr aber ist noch größer
in der Höhe. (…)
Als damals wie durch ein Wunder ein Schiff aus dem Nebel auftauchte,
das zufällig in der Nähe war, beidrehte und uns aus dem Wasser zog,
da waren wir schon so lahm, dass wir keinen Arm und kein Bein mehr
rühren konnten vor Kälte und vor Schwäche. Wir konnten uns nicht
einmal mehr an den Ringen festhalten, mit denen man uns herausziehen
wollte. Wir waren beide gute Schwimmer, aber damals hingen wir nur
noch wie nasse Säcke an einer langen Stange. So holten sie uns
heraus. Und wenn es auf unsere Kräfte angekommen wäre, wären wir
verlorene Leute gewesen.
Seither verstehe ich die Kindertaufe besser. Denn wer von uns kann
etwas dazu tun, dass Gott sich ihm zuwendet? Wer von uns kann etwas
dazu tun, dass ihm das Böse abgenommen wird, das er getan hat? (…)
Die Taufe ist ein Zeichen für eine Rettung, zu der wir nichts
beitragen können, gar nichts. Eigentlich können wir doch unsere
eigenen Kräfte erst richtig regen und üben, wenn wir gerettet an
Bord des Schiffes sind!
Man sagt in der Biskaya nicht: Wer sich bewährt und tüchtig genug
schwimmt, wer zuletzt selber die Strickleiter hinaufklettert, der
kann gerettet werden. Aber genau deshalb ist mir die Taufe der
kleinen Kinder so wichtig und gerade darum finde ich sie schön: Weil
die erwachsenen Leute daran sehen können, wie es uns allen vor Gott
geht. Dass wir nämlich keinen Finger rühren können, wenn es um unser
Leben und Rettung geht. Da können auch die Erwachsenen nur sagen:
Lieber Vater im Himmel, ich bin dein Kind. Hilf mir und rette mich
(…). Ich kann es nicht selber. Und hol du selber mich in dein ewiges
Reich. Ich kann mit meinen eigenen Kräften nicht dorthin kommen.
Aber du hast recht: Es ist auch gut, dass es immer wieder Erwachsene
gibt, die sich taufen lassen, so dass ganz klar ist, dass wir selber
auch wenigstens Ja sagen müssen, wenn Gott uns retten will. Bei
unserer Taufe oder - lange danach, wenn wir erwachsen geworden sind
und das Zeichen der Taufe verstehen können.“
Was soll man nun tun?
Ganz einfach: Auf dem Schiff bleiben.
Als wir uns im April 1944 mit allen möglichen heißen
Seemannsgetränken gestärkt hatten, wurden wir wieder munter.
Schließlich gingen wir nach oben aufs Deck, während das Schiff mit
hoher Fahrt durch einen scharfen Wind nach Hause fuhr. Es war ein
starkes und schönes Schiff und es war herrlich, nach Hause zu
fahren. Dass die Kirche mit einem Schiff verglichen wird, wird mir
bis ans Ende meines Lebens einleuchten. Menschen, die aus dem Wasser
gerettet sind, fahren miteinander nach Hause. Das ist der Kurs, den
das Schiff der Kirche fährt.
Wie sonderbar, es gibt Menschen, die sagen: Warum auf dem alten Kahn
bleiben? Das Meer ist doch so groß! Steig aus und du kannst
schwimmen, wohin du willst! Lass dir von keinem was vorschreiben!
Aber denke daran: Das Wasser ist nichts für uns Menschen. Wir
schwimmen ein Weilchen darin, bis wir untergehen. Wohl dem, der ein
Schiff hat, das ihn sicher nach Hause bringt. Als wir seinerzeit in
die Biskaya gefallen waren und einige Stunden lang von einem
Wellenberg auf den nächsten und von einem Wellental in das andere
geschaukelt worden waren, da war abzusehen, wann wir ganz am Ende
sein würden. (…)
Ich kann dir sagen: Es ist ein Unterschied, ob einer im Wasser
treibt und alle 6 Sekunden eine eisige, salzige Dusche im Gesicht
hat - oder ob er in einer Kajüte sitzt und heißen Tee trinkt. Wir
kamen uns wieder wie Menschen vor. Und während wir so gemütlich
saßen und unsere Beine wieder bewegten und unsere Arme und wir
unsere Tassen wieder halten konnten, fuhr das Schiff nach Hause.
Du sagst: Das ist billig. In der Kajüte sitzen und sich fahren
lassen. Da ist es doch viel heldenhafter, selber nach Hause zu
schwimmen. Oder, wie mein Onkel sagt: Seinen Gott allein finden.
Aber ich bitte dich: Das Leben ist ein Meer und kein Freibad. Wer
sich einbildet, er sei allein stark genug, der schwimme einmal 200
Seemeilen durch diesen Seegang nach Hause! Wer begriffen hat, wie
klein unsere Kräfte und wie ungeheuer weit der Heimweg zu Gott ist,
ist dankbar, dass es ein Schiff gibt: die Kirche. Oder, wenn wir es
ohne „Schiff“ sagen: dass es noch andere Menschen gibt, mit denen
wir reden können, mit denen wir zusammengehören.
Auf dem Schiff bleiben! Darauf kommt es an. Jedenfalls für Menschen,
die an ihr Ziel kommen wollen. Auf dem Schiff bleiben. Sicher, man
kann auch sagen, die Kirche könnte ein modernes Schiff sein. Sie
dürfte nicht so viel Schrammen haben. Und die Besatzung müsste aus
lauter idealen Seeleuten bestehen. Aber ich glaube, wichtig ist,
dass das Schiff dorthin fährt, wohin wir kommen wollen: ans Ufer,
nach Hause, an das ferne Ufer des Reiches Gottes.
Und wichtig ist, dass Christus mit auf dem Schiff ist und das Steuer
fest in der Hand hält. Darauf lass uns vertrauen. Denn weil Christus
bei uns ist, darum gehören wir zusammen. Darum reden wir miteinander
und darum habe ich dir das alles erzählt. Und darauf lass uns
zusammenbleiben.“ Amen.
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie
exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
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