Liebe Leser,
			 
			hat jeder seinen Jesus? So könnte man 
			fragen, angesichts der vielen Bilder, die schon die Bibel von Jesus 
			malt. Ganz zu schweigen von den Malern, die im Laufe der 
			Kunstgeschichte Gesicht und Gestalt des Christus auf die Leinwand 
			brachten. Vom bärtigen Mann auf dem Turiner Grabtuch - echt oder 
			nicht (?) - bis zum österreichischen Karikaturisten Gerhard Haderer, 
			der Jesus im Hemdchen beim Surfen auf dem See Genezareth zeigt. Das 
			hat Herrn Haderer etliche erfolglose Prozesse wegen „Verhöhnung der 
			christlichen Religion“ eingebracht, Gott sei Dank aber keinen Mob, 
			der Botschaften stürmt und Fahnen verbrennt, nachdem ein Zeichner 
			dem Propheten in einer dänischen Zeitung eine Bombe als Turban auf 
			den Kopf gemalt hat. Seitdem ist die Debatte wieder voll entbrannt, 
			was große und kleine Kunst in Sachen Religion darf und was nicht.
			 
			 
			Diese Debatte ist verständlich. Denn auch unsere Jesusbilder sind 
			uns heilig. Es hat etwas mit Manieren im elementaren Sinn zu tun, 
			dass man das, was einem selbst und auch anderen heilig ist, nicht 
			mit Füßen tritt. Wer solches tut ist ein Trampel mit äußerst 
			schlechten Manieren. Aber jeder von uns wird schnell einsehen, wohin 
			wir kämen, wenn wir solche Trampel alle ins Gefängnis stecken 
			wollten. Wir hätten einfach nicht genug Gefängnisse. Da wäre es doch 
			besser, wenn wir uns selbst und unsere Kinder wieder ein wenig mehr 
			auf gute Manieren besinnen würden. Und das gilt selbstverständlich 
			auch für die, die im Namen des Glaubens unverschämt und gewalttätig 
			werden.  
			 
			Jedem sein Jesus? Viele seiner Jünger hielten ihn für einen 
			Politischen, einen Befreier und angehenden König. Man hielt ihn für 
			einen Propheten, einen Wunderheiler, einen Gotteslästerer und für 
			einen Fresser und Weinsäufer übrigens auch (Lk 7/34). Für jeden von 
			uns knüpfen sich aber auch ganz eigene Glaubenserfahrungen an ein 
			solches Bild: Wie wir gebetet und Hilfe erfahren haben, Genesung, 
			Bewahrung, die Kraft für einen besseren Weg. Nein, das war kein 
			Witz. Es gab unserem Leben eine neue Richtung. Geheimnis des 
			Glaubens.  
			 
			Ein Ausleger schreibt: „Es gehört zu unserer protestantischen 
			Erblast, dass die jeweils persönliche Sicht des Glaubens und das 
			persönliche Glaubensbekenntnis mehr im Vordergrund stehen, als die 
			tröstliche Kraft des gemeinsam bekannten Glaubens.“ (Christoph 
			Münchow, GPM, 4/1993, Heft 1, S. 100) Da mag etwas dran sein. Sehen 
			wir doch in Gruppen und Kreisen, in denen der persönliche Glaube die 
			alles überragende Rolle spielt, eine noch größere Zersplitterung als 
			in den großen Konfessionen. Da droht der Heilsegoismus. Mein Jesus, 
			mein Glaube, meine Gerechtigkeit, mein Himmel. Muss man da Jesus 
			nicht in Schutz nehmen vor solcher Vereinnahmung? Ja, vor jeder Form 
			der Vereinnahmung? Auch vor denen, die seine Worte nur noch 
			zitierten, um ihre eigene Meinung, ihre eigenen Vorhaben, ihre 
			eigene Vorstellung von Gesellschaft und Kirche ins Werk zu setzen?
			 
			 
			Wer von der Vision des Sehers Johannes gehört hat, darf gelassen 
			abwinken. Um Gott braucht man sich keine Sorgen machen und um den 
			Christus ebenfalls nicht. Und das ist der Grund, warum sich auch die 
			Gemeinde, also wir, keine Sorgen zu machen brauchen.  
			 
			Das klingt für unsere Ohren vielleicht ein bisschen abgedroschen, 
			ein bisschen billig. So billig der Jammer, so billig die Tröstungen. 
			Je oberflächlicher und diffuser die Beschwerden, desto 
			oberflächlicher und diffuser die Medizin. Das scheint mir in unserer 
			Kirche heute ein echtes Elend zu sein. Was echtes Elend ist, davon 
			konnten die Gemeinden, die der Seher Johannes damals kannte, ein 
			Lied singen. Die wussten, was Todesangst ist, gesellschaftliche 
			Ausgrenzung, Verachtung, Stigmatisierung, Verfolgung. Die hatten 
			nicht darüber zu klagen, dass ihre Stimme im gesellschaftlichen 
			Diskurs nicht mehr genügend wahrgenommen wird. Die wussten, wie das 
			ist, wenn man nicht einmal ignoriert wird, weil man das Letzte ist. 
			Für so teueren Schmerz, kann es keinen billigen Trost geben. Da muss 
			es schon die Offenbarung des Johannes sein. Unser Herr Jesus 
			Christus ist um den großen und teueren Trost nicht verlegen.  
			 
			Ach tut das gut, wenn man dieses Buch aufschlägt und anders als in 
			der Zeitung einmal nicht vom Pfarrer, vom Dekan, vom Oberkirchenrat, 
			vom Bischof berichtet wird, sondern die neusten Nachrichten aus dem 
			Himmel die Gemeinden in den Mittelpunkt stellen. Namentlich sind sie 
			genannt, alle sieben, alle eben. Da geht es einmal nicht um die, die 
			in der Öffentlichkeit große Leuchten sind. Die sieben Leuchter, die 
			Johannes sieht, stehen für die Gemeinden; und in ihrer Mitte steht 
			ein strahlender und mächtiger Christus und sein Licht und seine 
			Kraft fällt auf sie. Nein, diesen Christus muss man nicht in Schutz 
			nehmen, sondern er ist es, der diese kleinen, ohnmächtigen und 
			schwachen Gemeinden in Schutz nimmt.  
			 
			Und noch mehr: In seiner Hand, in seiner 
			„Kompetenz“, wie man heute so schön sagt, und nur dort (!) werden 
			diese Gemeinden zu Sternen, die aller Welt leuchten. Aber es ist 
			eben nicht ihre Leuchtkraft, ihre Kompetenz, sondern der, der weiß 
			und will und kann und macht, ist allein der Christus. Der verachtet 
			auch die kleine Kraft der Gemeinde in Philadelphia nicht (Off. 3,8), 
			weil sie sein Wort bewahrt und seinen Namen nicht verleugnet hat. 
			Darin liegt die wahre und einzige Kraft dieser Gemeinde und aller 
			Gemeinden Jesu Christi. Nicht wenn sich Kirche und Gemeinde um ihrer 
			selbst willen interessant macht, sondern wenn sie sein Wort bewahrt 
			und seinen Namen nicht verleugnet, wird sie wahrhaft interessant.
			 
			 
			Und wir sehen gerade an den Gemeinden der 
			Offenbarung, dass sie sich mit dem Wort ihres Herrn auch 
			auseinandersetzen und kämpfen müssen. Denn der Christus lässt 
			sich nicht einmal von den Seinen 
			vereinnahmen. Er kommt ihnen quer. 
			Die Gemeinde in Laodizea vergleicht er mit lauwarmem Bier, das man 
			gleich hinter den Tresen speit. (Off. 3/15) Wir brauchen in unserer 
			Kirche auch Querdenker, sagte neulich jemand zu mir. Was hätte 
			Dietrich Bonhoeffer gesagt, der gestern seinen hundertsten 
			Geburtstag gefeiert hätte? Wenn ich ihn richtig verstanden habe, 
			hätte er gesagt: Querulanten gibt es wohl auch in der Kirche. Aber 
			es sind doch nicht die Prediger, die Kirchenvorsteher und 
			Gemeindeglieder, die der Kirche quer kommen, sondern es ist das Wort 
			des Christus selbst. Und wie können die, die es gehört haben, denn 
			anders, als es jetzt und in dieser Situation weiterzusagen und zwar 
			nicht nur im inneren Zirkel der Kirche, sondern vor aller Welt. 
			„Alles wäre verdorben, wollte man Christus für die Kirche 
			aufbewahren, während man der Welt nur irgendein, vielleicht 
			christliches Gesetz gönnt. Christus ist für die Welt gestorben und 
			nur mitten in der Welt ist Christus Christus.“ (Dietrich Bonhoeffer, 
			zitiert bei: Eberhard Bethge, Bonhoeffer, Rowohlt, 1982, S. 116) 
			 
			Da sind bestimmt manche richtig froh, dass dieser „evangelische 
			Heilige“ seit seinem 40. Lebensjahr schon im Himmel ist und sein so 
			unvollendetes und fragmentarisch gebliebenes Werk zum Ausschlachten 
			fürs fromme Poesiealbum freigegeben ist. Das passiert einem 
			Heiligen, der Religiosität als eine Haltung kritisierte, die eine 
			religiöse Aktivität des Menschen an die Stelle der Wirklichkeit 
			Gottes setzt. Was hätte dieser Theologe seiner Kirche noch alles 
			quergedacht und quergesagt, weil er nicht anders gekonnt hätte. 
			Unsere Kirche und Gemeinde braucht weder Querdenker noch 
			Hofschranzen, sondern Menschen, die nicht anders können, als das 
			Wort Christi zu bewahren und seinen Namen nicht zu verleugnen. Ein 
			solcher war Dietrich Bonhoeffer, der als Vaterlandverräter in 
			Flossenbürg von Nazis vier Wochen vor Kriegsende ermordet wurde. Bis 
			1998 hat es gedauert, bis er von der deutschen Justiz rehabilitiert 
			wurde. Auch das nicht nur ein kirchliches, sondern auch ein 
			deutsches Elend. 
			 
			Keine Sorge! hätte Bonhoeffer trotz allem gesagt und sein Lächeln 
			gelächelt, das manche für arrogant hielten. Im größten Elend seines 
			Gefängnisses schrieb er am 19. Dezember 1944: „Von guten Mächten 
			wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist 
			mit uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“ 
			(EG 637) 
			Hintergrund:
			
			Dietrich Bonhoeffer zum 100. Geburtstag 
			
      
      Pfarrer Johannes Taig    (Hospitalkirche 
      Hof) 
      (weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter
      
      www.kanzelgruss.de)  | 
			Text: 
			
			 9 Ich, Johannes, euer Bruder und Mitgenosse 
			an der Bedrängnis und am Reich und an der Geduld in Jesus, war auf 
			der Insel, die Patmos heißt, um des Wortes Gottes willen und des 
			Zeugnisses von Jesus. 
			10 Ich wurde vom Geist ergriffen am Tag des Herrn und hörte hinter 
			mir eine große Stimme wie von einer Posaune, 
			11 die sprach: Was du siehst, das schreibe in ein Buch und sende es 
			an die sieben Gemeinden: nach Ephesus und nach Smyrna und nach 
			Pergamon und nach Thyatira und nach Sardes und nach Philadelphia und 
			nach Laodizea. 
			12 Und ich wandte mich um, zu sehen nach der Stimme, die mit mir 
			redete. Und als ich mich umwandte, sah ich sieben goldene Leuchter 
			13 und mitten unter den Leuchtern einen, der war einem Menschensohn 
			gleich, angetan mit einem langen Gewand und gegürtet um die Brust 
			mit einem goldenen Gürtel. 
			14 Sein Haupt aber und sein Haar war weiß wie weiße Wolle, wie der 
			Schnee, und seine Augen wie eine Feuerflamme 
			15 und seine Füße wie Golderz, das im Ofen glüht, und seine Stimme 
			wie großes Wasserrauschen; 
			16 und er hatte sieben Sterne in seiner rechten Hand, und aus seinem 
			Munde ging ein scharfes, zweischneidiges Schwert, und sein Angesicht 
			leuchtete, wie die Sonne scheint in ihrer Macht. 
			17 Und als ich ihn sah, fiel ich zu seinen Füßen wie tot; und er 
			legte seine rechte Hand auf mich und sprach zu mir: Fürchte dich 
			nicht! Ich bin der Erste und der Letzte 
			18 und der Lebendige. Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von 
			Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes und der Hölle.  |