Predigt    Offenbarung 1/9-18   Letzter Sonntag n. Epiphanias   05.02.06

"Keine Sorge!"
(Von Pfarrer Johannes Taig, Hospitalkirche Hof)

Liebe Leser,

hat jeder seinen Jesus? So könnte man fragen, angesichts der vielen Bilder, die schon die Bibel von Jesus malt. Ganz zu schweigen von den Malern, die im Laufe der Kunstgeschichte Gesicht und Gestalt des Christus auf die Leinwand brachten. Vom bärtigen Mann auf dem Turiner Grabtuch - echt oder nicht (?) - bis zum österreichischen Karikaturisten Gerhard Haderer, der Jesus im Hemdchen beim Surfen auf dem See Genezareth zeigt. Das hat Herrn Haderer etliche erfolglose Prozesse wegen „Verhöhnung der christlichen Religion“ eingebracht, Gott sei Dank aber keinen Mob, der Botschaften stürmt und Fahnen verbrennt, nachdem ein Zeichner dem Propheten in einer dänischen Zeitung eine Bombe als Turban auf den Kopf gemalt hat. Seitdem ist die Debatte wieder voll entbrannt, was große und kleine Kunst in Sachen Religion darf und was nicht.

Diese Debatte ist verständlich. Denn auch unsere Jesusbilder sind uns heilig. Es hat etwas mit Manieren im elementaren Sinn zu tun, dass man das, was einem selbst und auch anderen heilig ist, nicht mit Füßen tritt. Wer solches tut ist ein Trampel mit äußerst schlechten Manieren. Aber jeder von uns wird schnell einsehen, wohin wir kämen, wenn wir solche Trampel alle ins Gefängnis stecken wollten. Wir hätten einfach nicht genug Gefängnisse. Da wäre es doch besser, wenn wir uns selbst und unsere Kinder wieder ein wenig mehr auf gute Manieren besinnen würden. Und das gilt selbstverständlich auch für die, die im Namen des Glaubens unverschämt und gewalttätig werden.

Jedem sein Jesus? Viele seiner Jünger hielten ihn für einen Politischen, einen Befreier und angehenden König. Man hielt ihn für einen Propheten, einen Wunderheiler, einen Gotteslästerer und für einen Fresser und Weinsäufer übrigens auch (Lk 7/34). Für jeden von uns knüpfen sich aber auch ganz eigene Glaubenserfahrungen an ein solches Bild: Wie wir gebetet und Hilfe erfahren haben, Genesung, Bewahrung, die Kraft für einen besseren Weg. Nein, das war kein Witz. Es gab unserem Leben eine neue Richtung. Geheimnis des Glaubens.

Ein Ausleger schreibt: „Es gehört zu unserer protestantischen Erblast, dass die jeweils persönliche Sicht des Glaubens und das persönliche Glaubensbekenntnis mehr im Vordergrund stehen, als die tröstliche Kraft des gemeinsam bekannten Glaubens.“ (Christoph Münchow, GPM, 4/1993, Heft 1, S. 100) Da mag etwas dran sein. Sehen wir doch in Gruppen und Kreisen, in denen der persönliche Glaube die alles überragende Rolle spielt, eine noch größere Zersplitterung als in den großen Konfessionen. Da droht der Heilsegoismus. Mein Jesus, mein Glaube, meine Gerechtigkeit, mein Himmel. Muss man da Jesus nicht in Schutz nehmen vor solcher Vereinnahmung? Ja, vor jeder Form der Vereinnahmung? Auch vor denen, die seine Worte nur noch zitierten, um ihre eigene Meinung, ihre eigenen Vorhaben, ihre eigene Vorstellung von Gesellschaft und Kirche ins Werk zu setzen?

Wer von der Vision des Sehers Johannes gehört hat, darf gelassen abwinken. Um Gott braucht man sich keine Sorgen machen und um den Christus ebenfalls nicht. Und das ist der Grund, warum sich auch die Gemeinde, also wir, keine Sorgen zu machen brauchen.

Das klingt für unsere Ohren vielleicht ein bisschen abgedroschen, ein bisschen billig. So billig der Jammer, so billig die Tröstungen. Je oberflächlicher und diffuser die Beschwerden, desto oberflächlicher und diffuser die Medizin. Das scheint mir in unserer Kirche heute ein echtes Elend zu sein. Was echtes Elend ist, davon konnten die Gemeinden, die der Seher Johannes damals kannte, ein Lied singen. Die wussten, was Todesangst ist, gesellschaftliche Ausgrenzung, Verachtung, Stigmatisierung, Verfolgung. Die hatten nicht darüber zu klagen, dass ihre Stimme im gesellschaftlichen Diskurs nicht mehr genügend wahrgenommen wird. Die wussten, wie das ist, wenn man nicht einmal ignoriert wird, weil man das Letzte ist. Für so teueren Schmerz, kann es keinen billigen Trost geben. Da muss es schon die Offenbarung des Johannes sein. Unser Herr Jesus Christus ist um den großen und teueren Trost nicht verlegen.

Ach tut das gut, wenn man dieses Buch aufschlägt und anders als in der Zeitung einmal nicht vom Pfarrer, vom Dekan, vom Oberkirchenrat, vom Bischof berichtet wird, sondern die neusten Nachrichten aus dem Himmel die Gemeinden in den Mittelpunkt stellen. Namentlich sind sie genannt, alle sieben, alle eben. Da geht es einmal nicht um die, die in der Öffentlichkeit große Leuchten sind. Die sieben Leuchter, die Johannes sieht, stehen für die Gemeinden; und in ihrer Mitte steht ein strahlender und mächtiger Christus und sein Licht und seine Kraft fällt auf sie. Nein, diesen Christus muss man nicht in Schutz nehmen, sondern er ist es, der diese kleinen, ohnmächtigen und schwachen Gemeinden in Schutz nimmt.

Und noch mehr: In seiner Hand, in seiner „Kompetenz“, wie man heute so schön sagt, und nur dort (!) werden diese Gemeinden zu Sternen, die aller Welt leuchten. Aber es ist eben nicht ihre Leuchtkraft, ihre Kompetenz, sondern der, der weiß und will und kann und macht, ist allein der Christus. Der verachtet auch die kleine Kraft der Gemeinde in Philadelphia nicht (Off. 3,8), weil sie sein Wort bewahrt und seinen Namen nicht verleugnet hat. Darin liegt die wahre und einzige Kraft dieser Gemeinde und aller Gemeinden Jesu Christi. Nicht wenn sich Kirche und Gemeinde um ihrer selbst willen interessant macht, sondern wenn sie sein Wort bewahrt und seinen Namen nicht verleugnet, wird sie wahrhaft interessant.

Und wir sehen gerade an den Gemeinden der Offenbarung, dass sie sich mit dem Wort ihres Herrn auch auseinandersetzen und kämpfen müssen. Denn der Christus lässt sich nicht einmal von den Seinen vereinnahmen. Er kommt ihnen quer. Die Gemeinde in Laodizea vergleicht er mit lauwarmem Bier, das man gleich hinter den Tresen speit. (Off. 3/15) Wir brauchen in unserer Kirche auch Querdenker, sagte neulich jemand zu mir. Was hätte Dietrich Bonhoeffer gesagt, der gestern seinen hundertsten Geburtstag gefeiert hätte? Wenn ich ihn richtig verstanden habe, hätte er gesagt: Querulanten gibt es wohl auch in der Kirche. Aber es sind doch nicht die Prediger, die Kirchenvorsteher und Gemeindeglieder, die der Kirche quer kommen, sondern es ist das Wort des Christus selbst. Und wie können die, die es gehört haben, denn anders, als es jetzt und in dieser Situation weiterzusagen und zwar nicht nur im inneren Zirkel der Kirche, sondern vor aller Welt. „Alles wäre verdorben, wollte man Christus für die Kirche aufbewahren, während man der Welt nur irgendein, vielleicht christliches Gesetz gönnt. Christus ist für die Welt gestorben und nur mitten in der Welt ist Christus Christus.“ (Dietrich Bonhoeffer, zitiert bei: Eberhard Bethge, Bonhoeffer, Rowohlt, 1982, S. 116)

Da sind bestimmt manche richtig froh, dass dieser „evangelische Heilige“ seit seinem 40. Lebensjahr schon im Himmel ist und sein so unvollendetes und fragmentarisch gebliebenes Werk zum Ausschlachten fürs fromme Poesiealbum freigegeben ist. Das passiert einem Heiligen, der Religiosität als eine Haltung kritisierte, die eine religiöse Aktivität des Menschen an die Stelle der Wirklichkeit Gottes setzt. Was hätte dieser Theologe seiner Kirche noch alles quergedacht und quergesagt, weil er nicht anders gekonnt hätte. Unsere Kirche und Gemeinde braucht weder Querdenker noch Hofschranzen, sondern Menschen, die nicht anders können, als das Wort Christi zu bewahren und seinen Namen nicht zu verleugnen. Ein solcher war Dietrich Bonhoeffer, der als Vaterlandverräter in Flossenbürg von Nazis vier Wochen vor Kriegsende ermordet wurde. Bis 1998 hat es gedauert, bis er von der deutschen Justiz rehabilitiert wurde. Auch das nicht nur ein kirchliches, sondern auch ein deutsches Elend.

Keine Sorge! hätte Bonhoeffer trotz allem gesagt und sein Lächeln gelächelt, das manche für arrogant hielten. Im größten Elend seines Gefängnisses schrieb er am 19. Dezember 1944: „Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist mit uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“ (EG 637)

Hintergrund: Dietrich Bonhoeffer zum 100. Geburtstag

Pfarrer Johannes Taig    (Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter www.kanzelgruss.de)

Text: 

9 Ich, Johannes, euer Bruder und Mitgenosse an der Bedrängnis und am Reich und an der Geduld in Jesus, war auf der Insel, die Patmos heißt, um des Wortes Gottes willen und des Zeugnisses von Jesus.
10 Ich wurde vom Geist ergriffen am Tag des Herrn und hörte hinter mir eine große Stimme wie von einer Posaune,
11 die sprach: Was du siehst, das schreibe in ein Buch und sende es an die sieben Gemeinden: nach Ephesus und nach Smyrna und nach Pergamon und nach Thyatira und nach Sardes und nach Philadelphia und nach Laodizea.
12 Und ich wandte mich um, zu sehen nach der Stimme, die mit mir redete. Und als ich mich umwandte, sah ich sieben goldene Leuchter
13 und mitten unter den Leuchtern einen, der war einem Menschensohn gleich, angetan mit einem langen Gewand und gegürtet um die Brust mit einem goldenen Gürtel.
14 Sein Haupt aber und sein Haar war weiß wie weiße Wolle, wie der Schnee, und seine Augen wie eine Feuerflamme
15 und seine Füße wie Golderz, das im Ofen glüht, und seine Stimme wie großes Wasserrauschen;
16 und er hatte sieben Sterne in seiner rechten Hand, und aus seinem Munde ging ein scharfes, zweischneidiges Schwert, und sein Angesicht leuchtete, wie die Sonne scheint in ihrer Macht.
17 Und als ich ihn sah, fiel ich zu seinen Füßen wie tot; und er legte seine rechte Hand auf mich und sprach zu mir: Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte
18 und der Lebendige. Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes und der Hölle.


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