Dietrich Bonhoeffer
und die Wiederkehr der Religion/ VonWolfgang
Huber
Der 9. April 1945 war ein Montag. Im Morgengrauen dieses Tages wurde
Dietrich Bonhoeffer zusammen mit Wilhelm Canaris, Ludwig Gehre, Hans
Oster, Karl Sack und Theodor Strünck im Konzentrationslager Flossenbürg
ermordet. Das standgerichtliche Verfahren, das dem vorausging, sprach
allem Recht Hohn. Es war ein Befehl des Führers, zu dessen Erfüllung
sich Ankläger wie Richter hergaben. Und es entsprach einer speziellen
Weisung Himmlers, die Hinrichtung rechtzeitig zu vollziehen, bevor
amerikanische Truppen Sachsenhausen erreichten. Am Morgen des 9. April
mussten sich die Verurteilten völlig nackt ausziehen und eine Stiege
besteigen. Dann wurde ihnen ein Strick um den Hals gelegt und die Stiege
weggezogen. Der Lagerarzt behauptete, der Tod sei sofort eingetreten.
Menschenverachtend blieb, was da geschah.
Der 9. April 1945 gehört zu den wichtigen Erinnerungsdaten des Jahres
2005. In die Tage zwischen dem 27. Januar dem 8. Mai, an denen wir uns
die Befreiung Europas von der Geißel des nationalsozialistischen
Schreckensregiments vergegenwärtigen, reiht sich die Erinnerung an
dessen Brutalität ein. Noch in den letzten Wochen vor ihrem Untergang
rächte sich die Naziherrschaft an Menschen, die gegen sie aufbegehrten.
Sie besiegelte damit deren unfreiwilliges Martyrium; gerade dadurch
bleiben diese Blutzeugen über die Generationen hinweg Vorbilder der
Zivilcourage und des Glaubensmuts.
Mit dem sechzigsten Todestag Dietrich Bonhoeffers beginnt eine Zeit, die
in besonderer Weise dazu einlädt, sich seinem Vermächtnis zuzuwenden.
Denn am 4. Februar 2006 wird seines hundertsten Geburtstags zu gedenken
sein. Die Spanne zwischen diesen beiden Erinnerungsdaten kann Anlass
sein, sich Bonhoeffers Leben und Werk neu zu vergegenwärtigen.
Um eine unkritische Aneignung kann es dabei nicht gehen. Vielmehr ist
auch Bonhoeffer gegenüber die wache Kritikfähigkeit angemessen, die er
selbst gegenüber theologischen Lehrern wie Zeitgenossen an den Tag
legte. Wäre er dazu nicht im Stande gewesen, dann enthielte seine
Theologie nicht das Anregungspotential, das sie bis zum heutigen Tag so
lebendig macht. Nicht darum kann es also gehen, Dietrich Bonhoeffer mit
der „Aura eines großen Widerstandszeugen“ (K.-M. Kodalle) zu umgeben, um
ihn dadurch gegenüber kritischen Rückfragen zu immunisieren. Sehr wohl
aber wird es seinem Lebenszeugnis wie seiner Theologie gerecht, wenn
sechzig Jahre nach seinem Tod auf ihn angewandt wird, was das Augsburger
Bekenntnis von 1530 in seinem Artikel 21 „von der Verehrung der
Heiligen“ lehrt. Dieses grundlegende evangelische Bekenntnisdokument
unterscheidet zwischen der Anrufung von Heiligen, in der Menschen sich
mit der Bitte um Beistand an sie wenden, und einem öffentlichen Gedenken
der Heiligen, um von ihrem Beispiel für den eigenen Glauben und das
eigene Handeln zu lernen. Während das eine evangelischem Glauben nicht
entspricht, ist ihm das andere eine große Hilfe.
Bonhoeffers Vorbildwirkung hat ohne Zweifel damit zu tun, dass
Lebensgeschichte und Theologie sich in seinem Fall besonders eng
miteinander verbinden. Im Zentrum dieser engen Verbindung steht die
Begegnung mit der Bergpredigt. In der Zeit seines Lebens, in der die
akademische Wirksamkeit im Vordergrund stand, noch vor Hitlers
Machtergreifung, begegnete er der Bergpredigt in einer Weise wie nie
zuvor. Diese Begegnung machte ihn, wie er in selbstkritischer Abgrenzung
gegenüber vorausliegenden Phasen seines Lebens sagte, zum Christen. Und
sie gab zugleich seiner ethischen Haltung eine Klarheit, die sich zwar
schon angebahnt, aber noch nicht im Letzten durchgesetzt hatte. Die
Verpflichtung auf Frieden und Gerechtigkeit wurde nun zum bestimmenden
Grundmotiv. Damit verband sich die Überzeugung, dass nicht die
unbefleckte Reinheit des eigenen Gewissens, sondern die konkrete
Verantwortung für das Leben und die Zukunft anderer Menschen der
Leitgedanke christlicher Ethik sei.
So sehr ließ Bonhoeffer sich von diesem Gedanken bestimmen, dass er das
„Dasein für andere“ zum prägenden Begriff der Ethik und die „Kirche für
andere“ zum prägenden Begriff der Lehre von der Kirche werden ließ.
Dieser Gedanke einer konstitutiven christlichen Proexistenz lässt
allerdings die Wechselseitigkeit, in der Menschen ihr Leben führen und
die sie auch in der Kirche erfahren, allzu stark in den Hintergrund
treten. Mit guten Gründen hat Theo Sundermeier deshalb vorgeschlagen,
das Moment christlicher Proexistenz in eine umfassendere Konzeption
christlicher Konvivenz aufzunehmen, die sich im gemeinsamen Feiern, im
voneinander Lernen und im miteinander Teilen Ausdruck verschafft.
Allerdings lässt sich nicht verkennen, wie nah – schon begrifflich –
diese Konzeption der Konvivenz dem „Gemeinsamen Leben“ steht, das
Dietrich Bonhoeffer in der Zeit des Finkenwalder Predigerseminars
praktiziert und nach der erzwungenen Schließung des Seminars literarisch
dargestellt hat.
Die Spiritualität des gemeinsamen Lebens, die Bonhoeffer in seinem
schmalen Buch beschreibt, wird man aus heutiger Sicht ohne Zweifel als
einen Ausdruck von Religion ansehen. So überschwänglich ist die Sprache,
die Bonhoeffer dafür wählt, dass wir Heutigen vor ihr sogar
zurückscheuen – von der Exklusivität, in der für das gemeinsame Leben
unter Gottes Wort nur „Brüder“ ins Auge gefasst werden, ganz abgesehen.
„Es wird leicht vergessen – so heißt es da beispielsweise – , dass die
Gemeinschaft christlicher Brüder ein Gnadengeschenk aus dem Reiche
Gottes ist, das uns täglich genommen werden kann, dass es nur eine kurze
Zeit sein mag, die uns noch von der tiefsten Einsamkeit trennt. Darum,
wer bis zur Stunde ein gemeinsames christliches Leben mit andern
Christen führen darf, der preise Gottes Gnade aus tiefstem Herzen, der
danke Gott auf Knien und erkenne: es ist Gnade, nichts als Gnade, dass
wir heute noch in der Gemeinschaft christlicher Brüder leben dürfen.“
Ein solches Zitat zeigt exemplarisch, dass man von Bonhoeffer gewiss
nicht sagen kann, er sei „religiös unmusikalisch“ gewesen, wie es der
Soziologe Max Weber von sich behauptete. Daran wird es nicht gelegen
haben, wenn Bonhoeffer das „Religiöse“ relativiert, ja sogar von einem
Übergang in eine „religionslose“ Zeit spricht und nach den Möglichkeiten
eines „religionslosen“ Christentums fragt. Das geschieht in den
theologischen Briefen aus dem Gefängnis in Tegel aus dem Jahr 1944. Doch
diese religionskritische Wendung in Bonhoeffers Theologie ist, was oft
übersehen wird, bereits in früheren Texten klar zu erkennen.
So knüpft Bonhoeffer in der Finkenwalder Zeit daran an, dass der Apostel
Paulus das Sein in Christus als eine „neue Schöpfung“ bezeichnet. Er
folgert daraus, dass in Christus nicht eine neue Religion gestiftet,
sondern ein Stück Welt neu geschaffen wird. „Es liegt also das
Pfingstgeschehen nicht in erster Linie in einer neuen Religiosität,
sondern es ist die Botschaft von einer neuen Schöpfungstat Gottes. Und
das heißt: Das ganze Leben wird mit Beschlag gelegt. Es geht nicht
einmal um eine Vorordnung des Religiösen vor dem Profanen, sondern um
eine Vorordnung des Tuns Gottes vor dem Religiösen und dem Profanen.“
Dieser Ansatz wird in Dietrich Bonhoeffers Gefängnistheologie
weitergeführt. Der Glaube als Lebensakt wird dem partiellen Charakter
der Religion gegenübergestellt. Nicht Religion schlechthin, sondern eine
bestimmte Form der Religion unterliegt Bonhoeffers Kritik – diejenige
nämlich, in der die menschliche Frömmigkeit sich Gottes bemächtigen
will.
Mit dieser theologischen Religionskritik verbindet sich eine bestimmte
Interpretation der Moderne. Sie steht unter dem Vorzeichen des mündig
gewordenen Menschen. Bonhoeffer erfasst mit diesem Begriff eine
Grundhaltung, wie sie sich in Europa unter der Herrschaft des
wissenschaftlichen Wahrheitsbewusstseins entwickelt hat. Die Mündigkeit
des Menschen ernst zu nehmen, ist ein Gebot intellektueller Redlichkeit.
Lücken des jeweiligen wissenschaftlichen Erkenntnisstands zu nutzen, um
in ihnen einem als Lückenbüßer verstandenen Gott noch eine Funktion
zuzuweisen, ist demgegenüber intellektuell unredlich. Genau das aber
geschieht in der vorherrschenden Vorstellung von Religion. In dieser
Vorstellung bleibt auch das Christentum auf weite Strecken befangen.
Religiosität versteht Bonhoeffer als eine Haltung, die eine religiöse
Aktivität des Menschen an die Stelle der Wirklichkeit Gottes setzt.
Religion trägt für ihn einen provinziellen Charakter; sie hat es mit
derjenigen Provinz der Wirklichkeit zu tun, von welcher der
wissenschaftliche Wahrheitsanspruch einstweilen noch fern gehalten wird.
Subjektive Innerlichkeit ist von daher der Bezirk der Religion; eine
jenseitig verstandene Transzendenz ist ihr Bezugspunkt. An diese Form
der Religion kann der christliche Glaube nach Bonhoeffers Überzeugung
nicht länger gebunden werden; deshalb sieht er es als die entscheidende
Aufgabe für eine Neufassung christlicher Theologie an, zu einer
„nichtreligiösen Interpretation“ ihrer biblischen Grundbegriffe zu
kommen.
Von der These eines unweigerlichen „Absterbens“ der Religion ist diese
Überlegung Bonhoeffers meilenweit entfernt. Diese These gibt es
keineswegs nur in einer historisch-materialistischen Variante. Auch
soziologisch-deterministische Spielarten dieser These werden –
beispielsweise unter dem Leitbegriff der „Säkularisierung“ – immer
wieder vorgetragen. Inzwischen freilich erleben wir – weltweit
betrachtet – nicht eine fortgesetzte Säkularisierung, sondern eher eine
„Desäkularisierung“ (Peter L. Berger), nicht ein Absterben, sondern eine
Wiederkehr der Religion. Bonhoeffers These wird dadurch nicht widerlegt;
sie steht vielmehr auf einem völlig andern Blatt. Auch wer im
theologischen Umgang mit dem Problem der Religion an Bonhoeffer geschult
ist, hat keinen Grund zu leugnen, dass Religion im Leben der einzelnen
wie auf dem Forum der Öffentlichkeit eine wachsende Rolle spielt. Auch
das Faktum, dass der christliche Glaube mit innerer Notwendigkeit
religiöse Gestalt annimmt, braucht man nicht unter Berufung auf
Bonhoeffer zu bestreiten.
Klärungsbedürftig sind vielmehr zwei andere Fragen. Zum einen muss es
darum gehen, ob die neue Zuwendung zur Religion, die wir gegenwärtig
erleben, auf Kosten der Mündigkeit geht. Das ist, wie unschwer zu
erkennen, der Fall; aber es ist nicht zwingend. Es geschieht
beispielsweise, wenn der Zugang zu wissenschaftlichen Einsichten über
die Entstehung der Welt und die Entwicklung des Lebens im Namen des
Bekenntnisses zu Gott als dem Schöpfer versperrt werden soll, wenn also
der biblische Schöpfungsglaube mit einer kreationistischen
Weltanschauung verwechselt wird. Und es geschieht ebenso, wenn der
Glaube an Gott zur Rechtfertigung von Gewalt gegen Menschen missbraucht
und damit Gott selbst als Waffe gegen andere Menschen eingesetzt wird.
Solche Formen fundamentalistischer Religiosität breiten sich heute an
vielen Stellen aus. Vor dem von Bonhoeffer eingeschärften Kriterium der
Mündigkeit können sie keinen Bestand haben.
Der Streit geht sodann um die Frage nach dem Verhältnis zwischen der
Wirklichkeit Gottes und der Religiosität des Menschen. Wenn Religion
selbst zu einer letzten Wirklichkeit erklärt und das Tun Gottes nicht
mehr von der religiösen Aktivität des Menschen unterschieden wird, dann
wird die Kirche zu einer „religiösen Gemeinschaft“, für die das
„Religiöse“ – so Bonhoeffer schon in der Finkenwalder Zeit – der
„höchste Wert“ ist. Theologie, die sich in den Dienst dieses höchsten
Wertes stellt, wird dann mit innerer Notwendigkeit zur bloßen Auslegung
des Religiösen, zur „Religionshermeneutik“.
Gerade in einer Zeit der Wiederkehr der Religion hat evangelische
Theologie starke Gründe, Bonhoeffers Unterscheidung auch in dieser
zweiten Hinsicht ernst zu nehmen. Die Unterscheidung zwischen der
Wirklichkeit Gottes und der menschlichen Religion ist um beider willen
nötig – um Gottes Willen, weil ihm nur auf der Grundlage einer solchen
Unterscheidung die Ehre gegeben wird, um der Religion willen, weil sie
nur so als das begriffen werden kann, was sie ist – nämlich eine
menschliche Aktivität. Allerdings wird man diese notwendige
Unterscheidung nicht immer auf Bonhoeffers Bahnen beschreiben. Dort, wo
er beispielsweise das Bestimmtsein des Menschen durch Gottes
neuschaffenden Geist in Kategorien des „totalen Gehorsams“ beschreibt,
liegt es uns heute näher, die Freiheitserfahrung zu thematisieren, die
sich im Leben aus dem Geist Gottes erschließt.
Bonhoeffers theologischer Impuls sperrt sich nicht gegen die
Erfahrungen, die sich heute mit der Wiederkehr der Religion verbinden.
Er kann vielmehr dabei helfen, mit diesen Erfahrungen so umzugehen, dass
die christliche Wahrheit nicht von einer neuen religiösen Welle
verschlungen wird, sondern ihr gegenüber in ihrer klärenden und
orientierenden Kraft wirksam wird.
Auch im Umgang mit der Wiederkehr der Religion bewähren sich der
Respekt vor der Mündigkeit des Menschen und die Überzeugung, dass der
Glaube ein Lebensakt ist, der den ganzen Menschen ergreift.
(Quelle:
ekd) |
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"Jedes
Wort lebt und ist beheimatet in einem bestimmten Umkreis. Das Wort
in der Familie ist ein anderes als das Wort im Büro oder in der
Öffentlichkeit. Das Wort, das in der Wärme persönlicher Beziehung
geboren ist, erfriert in der kalten Luft der Öffentlichkeit. Das
Wort des Befehls, das aus dem öffentlichen Dienst kommt, würde in
der Familie die Bande des Vertrauens zerschneiden. Jedes Wort soll
seinen Ort haben und behalten. Es ist eine Folge des Überhandnehmens
des öffentlichen Wortes in Zeitung und Rundfunk, dass Wesen und
Grenzen der verschiedenen Worte nicht mehr klar empfunden werden, ja
dass z. B. die Eigenart des persönlichen Wortes fast vernichtet
wird. An die Stelle der echten Worte tritt das Geschwätz. Die Worte
haben kein Gewicht mehr. Es wird zuviel geredet. Wenn aber die
Grenzen der verschiedenen Worte sich verwischen, wenn die Worte
wurzellos, heimatlos werden, dann verliert das Wort an Wahrheit, ja
dann entsteht fast zwangsläufig die Lüge. Wenn die verschiedenen
Ordnungen des Lebens sich nicht mehr gegenseitig
achten, dann werden die Worte unwahr.
Ein
Beispiel: ein Kind wird von seinem Lehrer vor der Klasse gefragt, ob
es wahr sei, dass sein Vater oft betrunken nach Hause komme? Es ist
wahr, aber das Kind verneint es. Es ist durch die Frage des Lehrers
in eine Situation gebracht, der es noch nicht gewachsen ist. Es
empfindet nur, dass hier ein unberechtigter Einbruch in die Ordnung
der Familie erfolgt, den es abwehren muss. Was in der Familie
vorgeht, gehört nicht vor die Ohren der Schulklasse. Die Familie hat
ihr eigenes Geheimnis, das sie zu wahren hat. Der Lehrer hat die
Wirklichkeit dieser Ordnung missachtet. Das Kind müsste nun in
seiner Antwort einen Weg finden, auf dem die Ordnung der Familie und
der Schule in gleicher Weise gewahrt bliebe. Es kann das noch nicht,
es fehlt ihm die Erfahrung, die Erkenntnis und die Fähigkeit des
rechten Ausdrucks. Indem es die Frage des Lehrers einfach verneint,
wird die Antwort zwar unwahr, aber sie gibt doch zugleich der
Wahrheit Ausdruck, dass die Familie eine Ordnung sui generis ist, in
die der Lehrer nicht berechtigt war, einzudringen. Man kann nun zwar
die Antwort des Kindes eine Lüge nennen; trotzdem enthält diese Lüge
mehr Wahrheit, d. h. sie ist der Wirklichkeit gemäßer, als wenn das
Kind die Schwäche seines Vaters vor der Schulklasse preisgegeben
hätte. Dem Maße seiner Erkenntnis nach hat das Kind richtig
gehandelt. Die Schuld als Lüge fällt allein auf den Lehrer zurück."
(Dietrich Bonhoeffer, Ethik, München 1981, S. 389f.)
"Ich
glaube zu wissen, dass ich eigentlich erst innerlich klar und
aufrichtig sein würde, wenn ich mit der Bergpredigt wirklich
anfinge, Ernst zu machen. Hier sitzt die einzige Kraftquelle, die
den ganzen Zauber und Spuk (das Nazireich) einmal in die Luft
sprengen kann, bis von dem Feuerwerk nur ein paar ausgebrannte Reste
übrigbleiben. Die Restauration der Kirche kommt gewiss aus einer Art
neuen Mönchtums, das mit dem alten nur die Kompromisslosigkeit eines
Lebens nach der Bergpredigt in der Nachfolge Christi gemeinsam hat.
Ich glaube, es ist an der Zeit, hierfür die Menschen zu sammeln."
(Dietrich Bonhoeffer, zitiert bei: Eberhard Bethge, Bonhoeffer,
Rowohlt, 1982, S. 115)
"Alles wäre verdorben, wollte man Christus für die Kirche
aufbewahren, während man der Welt nur irgendein, vielleicht
christliches Gesetz gönnt. Christus ist für die Welt gestorben und
nur mitten in der Welt ist Christus Christus."
(Dietrich Bonhoeffer, zitiert bei: Eberhard Bethge, Bonhoeffer,
Rowohlt, 1982, S. 116)
"Was
mich unablässig bewegt ist die Frage, was das Christentum oder auch
wer Christus heute für uns eigentlich ist. Die Zeit, in der man
alles den Menschen durch Worte - seien es theologische oder fromme
Worte - sagen konnte, ist vorüber; ebenso die Zeit der Innerlichkeit
und des Gewissens, und das heißt eben die Zeit der Religion
überhaupt. Wir gehen einer völlig religionslosen Zeit entgegen, die
Menschen können einfach, so wie sie nun einmal sind, nicht mehr
religiös sein ... Unserem ganzen bisherigen «Christentum» wird das
Fundament entzogen, und es sind nur noch einige letzte «Ritter» oder
ein paar intellektuell Unredliche, bei denen wir «religiös» landen
können ... Sollen wir ein paar Unglückliche in ihrer schwachen
Stunde überfallen und sie sozusagen religiös vergewaltigen? Wenn wir
das alles nicht wollen, wenn wir schließlich auch die westliche
Gestalt des Christentums nur als Vorstufe einer völligen
Religionslosigkeit beurteilen müssten, was für eine Situation
entsteht dann für uns? Wie kann Christus der Herr auch der
Religionslosen werden? Gibt es religionslose Christen? Wenn die
Religion nur ein Gewand des Christentums ist - und auch dieses
Gewand hat zu verschiedenen Zeiten sehr verschieden ausgesehen -,
was ist dann ein religionsloses Christentum? ...
Die
zu beantwortenden Fragen wären doch: was bedeutet eine Kirche, eine
Gemeinde, eine Predigt, eine Liturgie, ein christliches Leben in
einer religionslosen Welt? Wie sprechen wir von Gott — ohne
Religion, d. h. eben ohne die zeitbedingten Voraussetzungen der
Metaphysik, der Innerlichkeit etc. etc.? Wie sprechen (oder
vielleicht kann man aber nicht einmal mehr davon «sprechen» wie
bisher) wir «weltlich» von «Gott», wie sind wir
«religionslos-weltlich» Christen, wie sind wir «ekklesia»,
Herausgerufene, ohne uns religiös als Bevorzugte zu verstehen,
sondern vielmehr als ganz zur Welt Gehörige? Christus ist dann nicht
mehr Gegenstand der Religion, sondern etwas ganz anderes, wirklich
der Herr der Welt .. .
Die
Religiösen sprechen von Gott, wenn menschliche Erkenntnis ... zu
Ende ist oder wenn menschliche Kräfte versagen - es ist eigentlich
immer der deus ex machina, den sie aufmarschieren lassen, entweder
zur Scheinlösung unlösbarer Probleme oder als Kraft bei menschlichem
Versagen, immer also in Ausnutzung menschlicher Schwäche bzw. an den
menschlichen Grenzen ... ich möchte von Gott nicht an den Grenzen,
sondern in der Mitte, nicht in den Schwächen, sondern in der Kraft,
nicht also bei Tod und Schuld, sondern im Leben und im Guten des
Menschen sprechen. An den Grenzen scheint es mir besser, zu
schweigen und das Unlösbare ungelöst zu lassen. Der
Auferstehungsglaube ist nicht die Lösung des Todesproblems. Das
«Jenseits» Gottes ist nicht das Jenseits unseres
Erkenntnisvermögens! Die erkenntnistheoretische Transzendenz hat mit
der Transzendenz Gottes nichts zu tun. Gott ist mitten in unserem
Leben jenseitig."
(Dietrich Bonhoeffer, zitiert bei: Eberhard Bethge, Bonhoeffer,
Rowohlt, 1982, S. 119f.)
"1.Menschen
gehen zu Gott in ihrer Not, flehen um Hilfe, bitten um Glück und
Brot, um Errettung aus Krankheit, Schuld und Tod. So tun sie alle,
alle, Christen und Heiden.
2. Menschen gehen zu Gott in seiner Not,
finden ihn arm, geschmäht, ohne Obdach und Brot, sehn ihn
verschlungen von Sünde, Schwachheit und Tod. Christen stehen bei
Gott in seinen Leiden.
3. Gott geht zu allen Menschen in ihrer Not, sättigt den Leib und
die Seele mit seinem Brot, stirbt für Christen und Heiden den
Kreuzestod, und vergibt ihnen beiden."
(Dietrich Bonhoeffer,
zitiert bei: Eberhard Bethge, Bonhoeffer, Rowohlt, 1982, S. 119f.) |