Die (Nicht-) Umbenennung der Dr. Dietlein-Straße |
Stand: 22.02.2019 |
"Mit 36 zu 8 Stimmen hat der Hofer Stadtrat am 28. Juni 2013 für den Vorschlag der Stadtverwaltung gestimmt, den Namen der Dr.-Dietlein-Straße beizubehalten. Die monatelange Diskussion hat somit endgültig ein Ende und die Anwohner können ihren Straßennamen behalten. Gleichzeitig wurde beschlossen, eine Informationstafel anzubringen, auf der die beiden Seiten des Dr. Dietlein - einerseits seine Verdienste um die Stadtgeschichte und andererseits seine Verstrickungen in den Nationalsozialismus - dargestellt werden." (Stadt Hof am 28. Juni 2013) Die Diskussion über diese Entscheidung, mit der sich die Stadt Hof nach Meinung eines Kommentators "restlos blamiert" hat (Lorenz Storch), ging weiter. Am 29. November 2013 beschloss der Stadtrat einstimmig, die Straße in Dr.-Bonhoeffer-Str. umzubenennen. Wir bieten Ihnen historische Informationen und Stellungnahmen und dokumentieren die Diskussion. |
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Standpunkte | ||
Zur Entscheidung des Hofer Stadtrates, die
Dr.-Dietlein-Straße in Dr.-Bonhoeffer-Straße umzubenennen Von Dekan Günter Saalfrank (Hof), 29. November 2013 Mit Dr. Dietrich Bonhoeffer wird ein weltweit geschätzter Theologe, der dem NS-Regime die Stirn geboten hat und dies mit dem Leben bezahlen musste, Namensgeber einer Straße in Hof. Damit sind nun kurz hintereinander ein Platz bzw. eine Straße nach einem Märtyrer benannt: Anfang November ein Platz nach dem katholischen Theologen Bernhard Lichtenberg und nun eine Straße nach dem evangelischen Pfarrer Dietrich Bonhoeffer, der wenige Tage vor Kriegsende im KZ Flossenbürg umgebracht wurde. Die vom Stadtrat einstimmig beschlossene Umbenennung stellt hoffentlich einen Schlussstrich unter eine Monate lange Diskussion dar. Ein Ende der Aufarbeitung der NS-Zeit in Hof darf sie indes nicht bedeuten. Es ist wichtig, weiter diese Zeit und die in ihr handelnden Personen differenziert anzuschauen und Licht ins Dunkel der Stadt- und Kirchengeschichte Hofs zu bringen. Wie viele Stadträte hatte ich es zunächst für eine gute Idee gehalten, die Person des Hofer Stadtarchivars, Pfarrers und Lehrers auf einer Tafel kritisch zu würdigen. Dieser Weg erwies sich allerdings in Hof als nicht tragfähig. Zudem entstand durch das deutliche Votum des Vorsitzenden der israelitischen Kultusgemeinde Hof, Dr. Leon Gonczarowski, die Dr.-Dietlein-Straße umzubenennen, eine neue Lage. Deshalb stehe ich hinter der klaren Entscheidung des Stadtrates, dass die Dr. Dietlein-Straße zukünftig Dr.-Bonhoeffer-Straße heißt. Auch, weil damit ein wichtiges Zeichen gegen nationalsozialistisches Gedankengut gesetzt wird und - wie die Vorsitzenden der drei im Hofer Stadtrat vertretenen Fraktionen in einer gemeinsamen Positionserklärung betonten - „die Umbenennung nicht generell als historisches Unwerturteil gegenüber Dr. Ernst Dietlein zu verstehen ist.“ |
Die Informationtafel
"Der erste Teil des Textentwurfs der Stadtverwaltung zur Dr. Dietlein-Straße eignet sich hervorragend für eine Tafel, die begründet, warum man die Straße umbenennen musste. (...) Schlimm ist, dass im weiteren Text Dietlein vom Naziaktivisten zum armen verführbaren Opfer dieser Ideologie stilisiert wird. Straßennamen sind auch kein „Mahnmal“, sondern ehren Menschen, die Vorbildliches geleistet haben. Wie man es dreht und wendet: Die Dr. Dietlein-Str. ist für den Hofer Stadtrat zur Sackgasse geworden." Pfr. Johannes Taig, (Leserbrief vom 14.10.2013) |
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Offener Brief der Israelitischen Kultusgemeinde
Hof (Oktober 2013) "(...) All dies belegt, dass Dietlein nicht nur ein aktiver Nationalsozialist, der seine Meinung nie änderte, sondern auch vorsätzlich ein schlechter Archivar war. Deswegen ist seine Persönlichkeit nach heutigem Wissensstand nicht mehr „umstritten". Vielmehr ist Dietlein nicht würdig, mit einem Straßennamen oder einer Gedenktafel geehrt zu werden. Die Israelitische Kultusgemeinde Hof fordert Herrn
Oberbürgermeister Dr. Harald Fichtner sowie alle Stadträtinnen und Stadträte
dazu auf, den Namen der besagten Straße zu ändern, sowie von einer Gedenktafel
für Dr. Dietlein gleich welcher Art abzusehen. Bitte sorgen Sie dafür,
dass Hof auch weiterhin bunt bleibt und Alt- und Neonazis keinen Rückenwind
bekommen."
Lesen Sie den ganzen Brief.
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"Von einer Geschichtstafel geht ein widersprüchliches Signal aus. Der Straßenname sagt: „Wir ehren weiterhin diesen Mann“, und die Erläuterungstafel sagt: „Aber wir haben keinen Grund dafür.“ Das wäre eine etwas peinliche Geste der Inkonsistenz. Was immerhin denkbar wäre: Alle verfügbaren Informationen pro und contra Dr. Dietlein auf die Tafel zu nehmen, um auf diese Weise einen vielleicht schwierigen Abwägungsprozess darzustellen. Aber damit würde man immer noch riskieren, dass der unbefangene Betrachter, also ich etwa, sich sagt: Die Abwägung ist eindeutig falsch entschieden worden; dieser Mann sollte nicht auf eine so heraushebende Weise geehrt werden." (Prof. Reinhard Merkel am 02.10.2013 im Hofer Anzeiger) | |
Zur Entscheidung des Hofer
Stadtrates zur Dr.-Dietlein-Straße |
„Gibt
es denn unter den zirka 150 Anwohnern keinen, dem es peinlich ist, dass
seine Straße nach einem ehemaligen überzeugten Nationalsozialisten und
Hitler-Anhänger benannt ist? Es gibt doch zwischenzeitlich eine Reihe
von seriösen Mitbürgern, die sich mit der Vergangenheit von Dr. Dietlein
beschäftigt haben. So zum Beispiel Dr. Jakob Gonczarowski, Professor
Merkel, Dr. Herrmann, jetzt auch Dekan Saalfrank, Pfarrer Taig mit dem
gesamten Kirchenvorstand, Professor Mintzel, Alt-OB Döhla und andere.
Da sich die vorgeschobene finanzielle Belastung für die Anlieger zwischenzeitlich
vollständig in Luft aufgelöst hat, wollen sie nun das Geld der Stadt
für das geplante Schild spenden. Die Spender könnten sich ja dann auf
dem Schild mit der Bezeichnung ‚Schildbürger‘ verewigen.
Kein Schild, kein Ratsbegehren (Kosten in Höhe von 17.000 Euro), Ende
weiterer negativer Reklame von Hof im Bayerischen Rundfunk und Landtag
und eine schnelle, klare und einstimmige Entscheidung für eine Umbenennung
in „Bonhoeffer-Straße“ zum Beispiel ist nun angesagt, damit
das leidige Thema endgültig vom Tisch ist.“ "Der Beschluss im Juni war rückblickend ein Fehler - dies muss man heute zweifellos erkennen und zugestehen." Oberbürgermeister Harald Fichtner vor dem Stadtrat am 29.11.2013. |
Die Nicht-Umbenennung der
Dr. Dietlein-Straße in Hof * "Dieser Widerstand war aber zunächst kaum oder gar nicht politisch begründet, sondern richtete sich gegen die von den Deutschen Christen beherrschten Kirchenleitungen." ... Die Bekennende Kirche war "entgegen der Selbstdarstellung vieler ihrer Mitglieder nach 1945 keine Opposition zum Nationalsozialismus als solchem." (Wikipedia) |
„Bisher waren wir stolz auf die Stadt Hof, die sich erfolgreich gegen Aufmärsche von Neonazis zur Wehr gesetzt hat. Umso größer ist unsere Empörung über die Entscheidung des Hofer Stadtrates, der mehrheitlich für die Beibehaltung der Namensgebung Dr.-Dietlein-Straße gestimmt hat. Wie erklärt man diesen Entschluss Angehörigen der Verfolgten des Naziregimes, unseren zirka 300 Mitbürgern der jüdischen Gemeinde und allen humanistisch denkenden Menschen? Wir bitten um eine namentliche Bekanntmachung der Stadträte, die für diese Entscheidung gestimmt haben, denn diese sind für uns nicht mehr wählbar.“ Dr. Christian Stier, Dr. Constanze Stier, Hof (Leserbrief vom 03.07.2013) „Die Angst der Mitglieder des Hofer Stadtrats, Stimmen bei der nächsten Stadtratswahl zu verlieren, kam bei dieser Abstimmung wieder einmal zum Ausdruck. Die anwesenden Bewohner der Dr.-Dietlein-Straße bei dieser Stadtratssitzung am 28. Juni haben natürlich genau registriert, wer für oder gegen den Antrag ist. Es ist jedenfalls enttäuschend, dass ein einmal gemachter Fehler im Jahr 1964 nicht korrigiert worden ist, wie es mit dem Namen der Kaserne geschieht. Mir imponierte die Stellungnahme der Frau Dr. Strunz: ‚Taugt eine solche Person als Vorbild, das man mit einem Straßennamen auf alle Ewigkeit ehrt?‘ Alles andere ist fauler Kompromiss.“ Alfred Praller, Hof (Leserbrief vom 08.07.2013) „Im Artikel vom 24. Juni werden Persönlichkeiten wie Richard Wagner, Admiral Scheer, Herrmann Löns, Scharnhorst, ja sogar Heinrich Heine in die Nähe der NSDAP, und nur um die geht es hier, gerückt. Das ist unstatthaft, allein schon deswegen, weil die meisten der Genannten am Gründungstag dieser Partei 1920 schon Jahrzehnte verstorben waren. Antisemitismus und Nationalismus sind keine deutschen Erfindungen. Im Europa des 19. und 20. Jahrhunderts waren sie Zeitgeist und überall anzutreffen. Einmalig aber ist das Wirken der NSDAP: Von 1933 bis 1945 konnte diese uneingeschränkt und unterstützt von der absoluten Mehrheit des Volkes wie keine andere Partei vor und nach ihr auf deutschem Boden ihre Vorstellungen verwirklichen. Die Seite würde nicht ausreichen, sollten all die negativen Folgen dieser relativ kurzen Regierungszeit geschildert werden. Allein deswegen ist ein Straßenname für einen Vertreter dieser politischen Gruppierung völlig unangebracht und ein nachträglicher Schlag ins Gesicht der Opfer.“ Fritz Wurtzbacher, Hof (Leserbrief am 13.07.2013) "Mit der Entscheidung der Stadtratsmehrheit ist dem öffentlichen Ansehen der Stadt Hof ein Bärendienst erwiesen worden. Wenn der organisierte Protest der Anlieger und die Angst vor Kosten die Entscheidung beeinflusst haben sollte, können wir das auch nicht verstehen. Es geht hier um weit mehr für die Stadt Hof, was mit Geld nicht zu messen ist. ... Wir glauben nicht, dass mit der Stadtratsentscheidung vom 28. Juni die Sache erledigt und, worauf sicher manche vertrauen, auch bald vergessen ist. Dieses Thema wird weiter kochen und die Stadt beschäftigen. Vielleicht auf noch unangenehmere Weise als bisher, wenn z.B. die geplanten Erklärungstafeln Hof zum Bildungsziel für politischen Unverstand machen. Wir wären erleichtert, wenn der Stadtrat nach einer kurzen Verschnauf- und Denkpause das Thema mit einer anderen Entscheidung erledigt. Für unsere Stadt Hof wäre das eine weise Entscheidung." (Dieter Döhla, Hans Büchler) |
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Links
- Informieren Sie sich:
Presse und Rundfunk (Beachten Sie auch die aufschlussreichen Kommentare!)
Zum Thema
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Am 7. März 1937 steht im "Gemeindeblatt für Hof und Umgebung" (Nr. 10) im Gedenken an den am 5. März 1935 beieine Flugzeugabsturz ums Leben gekommenen Kultusminister Hans Schemm zu lesen, "... dass man sehr wohl zugleich Deutscher, Nationalsozialist und Christ sein kann."
"Noch 1943 ordnete der Landeskirchenrat anlässlich Hitlers Geburtstag an, am 18. April "im Allgemeinen Kirchengebet des Führers fürbittend zu gedenken und Gott zu bitten, dass er ihm mit seinem Geist und seiner Hilfe zur Seite stehe und sein Werk mit seinem Segen kröne." (Mensing, S. 189)
"In der unmittelbaren Nachkriegszeit bildete sich schnell ein Geschichtsbild aus, in dem sich die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern selbst zu einer Widerstands-organisation gegen den Nationalsozialismus stilisierte. Dabei wurde die eigene Verstrickung in den Nationalsozialismus weitgehend ausgeblendet, obwohl es auch kritische Stimmen gab, die auf das Versagen der Kirche hinwiesen. Das Geschichtsbild von der Kirche als Widerstandsorganisation bestimmte bis in die 1960er Jahre die kirchliche Selbstwahrnehmung. ... Erst in den 1990er Jahren zerbrach das Bild der bayerischen Landeskirche als Widerstandsorganisation gegen den Nationalsozialismus endgültig. Seither gilt die Feststellung, die der Neuendettelsauer Kirchenhistoriker Friedrich Wilhelm Kantzenbach schon 1977 getroffen hatte, dass es auch in der bayerischen Landeskirche nur wenige einzelne waren, die für die entscheidenden Probleme einen klaren Blick hatten. (F. W. Kantzenbach, Der Einzelne, S. 107)" Lesen Sie mehr.
Die Selbststilisierung der bayerischen Landeskirche als Widerstandsorganisation gegen den Nationalsozialismus nach Kriegsendeblieb in der Kirche nicht unwidersprochen. ... Insgesamt (aber) fand die kleine Gruppe bayerischer Pfarrer, die entschiedenen Widerstand gegen den Nationalsozialismus geleistet hatte, nach dem Ende der NS-Herrschaft in der Landeskirche kaum Gehör und stieg auch nicht in kirchenleitende Positionen auf. So kam Karl Steinbauer, der bedeutendste Kritiker des Kurses der Kirchenleitung während der NS-Herrschaft, nicht einmal in die Landessynode. Vielmehr gab ihm der Landeskirchenrat im Frühjahr 1946 die Mahnung mit auf den Weg, künftig keine weitreichende Kirchenpolitik mehr zu betreiben. Zu einer kritischen Aufarbeitung der NS-Geschichte kam es erst Jahrzehnte später.
In der Erklärung der
Landeskirche "Schuld und Verantwortung - Ein Wort der Kirche zum
Verhältnis
von Christen und Juden" von 1998 wird gefordert:
"Dies muss offen gesagt werden: Wir dürfen Schuld, die unsere Kirche und Amtsträger in ihr während der NS-Zeit und nach ihrem Ende auf sich geladen haben, nicht verschweigen, sondern müssen sie benennen." (Dr. Johannes Friedrich, 1998)
"Das gilt auch für die Verhältnisse in der Stadt Hof: Die NS-Geschichte ist noch nicht aufgearbeitet." (Prof. Dr. Alf Mintzel, 2013)
Die moralische Pflicht zur gemeinschaftlichen Scham, die der erste Bundespräsident Theodor Heuss den Deutschen auferlegte, wurde zur bequemen Formel für ... " ... all jene wendebereiten Kompromittierten mit befleckten Westen, die ihre konkrete Schuld nur zu gern im Sammelbecken der allgemeinen 'nationalen Kollektivscham' verschwinden ließen." (Peter Ambros, 2013)
"Dieses Schweigen übertrug die Traumatisierung auf eine weitere Generation: Für die Kinder lauerte dahinter der monströse Verdacht, dass sch ihre Eltern mehr kompromittiert haben mochten, als die Kinder bereit waren sich vorzustellen, somit das gruselige Gefühl der Möglichkeit, Sohn oder Tochter eines bestialischen Mörders zu sein." (Peter Ambros, 2013)
Die Neonaziszene griff die Entscheidung des Hofer Stadtrats vom 28.06.2013 sofort dankbar auf. Und auch nach der Umbenennung der Straße wurde das Thema weiter ausgeschlachtet. Warum ist solche Hetze heute kein Fall für den Staatsanwalt? Hier zeigt sich: Der Kampf gegen Neonazis und die Aufarbeitung der Nazizeit gehören zusammen. Folgerichtig hat sich das Bündnis "Hof ist bunt" am 7. August in die Debatte eingeschaltet.
Zur Problematik der Leserkommentare im Internet - auch auf den Webseiten der Frankenpost in Sachen Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus lesen Sie einen Kommentar von Sascha Lobo: "Aufblitzen der Unmenschlichkeit" vom 08.04.2015.
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