Wirtschafts- und Marketingmethoden in der Kirche? Die Debatte in der Süddeutschen Zeitung zur "Modernität der Kirche" 2002 |
(SZ vom 5. März) Nachwirkungen |
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Es kann der Frömmste nicht in Frieden
beten...
Von Christian Nürnberger
Unter bayerischen Pfarrern
spricht sich gegenwärtig herum, dass ihr oberster Chef,
Landesbischof Johannes Friedrich, sie ab Herbst 2002 in ein
Rattenrennen ohne Unterlass schicken will. Mit den „Richtlinien für
die dienstliche Beurteilung von Pfarrern/innen in der Ev.- Luth.
Kirche in Bayern“ werden die Prinzipien von McKinsey endgültig ins
Pfarrhaus einziehen. In jährlichen Beurteilungsgesprächen soll jedem
Pfarrer auf den Zahn gefühlt werden. Ziele für das kommende Jahr
sollen festgelegt, „Fördermaßnahmen“ empfohlen und die Ergebnisse in
standardisierter Form festgehalten und im Landeskirchenamt zentral
gespeichert werden. Es geht dabei um Existenzsicherung: Wie verkauft
sich der Pfarrer in der Öffentlichkeit? Wie entwickeln sich das
Spendenaufkommen und der Gottesdienstbesuch, die Kirchenaustritte
und Neueintritte, wie ist der Saldo? Wie im Fernsehen zählt die
Quote, wie im Marketing geht es ums Image. |
(SZ vom 13. Februar 02) |
Gottes Liebe weitersagen - Warum die Kirche sich wandeln muss Von
Johannes Friedrich,
So erzählt Heinrich Wolfgang Seidel vor genau
hundert Jahren aus seiner Vikariatszeit in einer Kleinstadt irgendwo
zwischen Jauche und Levkojen: eine vermeintliche Idylle, in der
Pfarrer ihr Pfeifchen schmauchen und Bienen züchten. Aber die
Wahrheit war schon damals weniger idyllisch, als es im Briefroman
„Drei Stunden hinter Berlin“ den Anschein hat. Fast zur selben Zeit
erscheint das viel gelesene „Tagebuch eines Großstadtpfarrers“, das
Pfarrersein inmitten des Berliner Proletariats sehr anders
beschreibt. Schon damals stellte sich die Frage, was die
eigentlichen Aufgaben eines Pfarrers, einer Pfarrerin sind. |
(SZ vom 19.Februar 02) |
Mit Piercing auf dem Weg ins Ghetto
Nürnberger attackiert
„Richtlinien für die dienstliche Beurteilung von Pfarrer/innen in
der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern“, die ab Herbst 2002
eingeführt werden sollen und die ein „Controlling“ und eine
„Leistungsbeurteilung“ vorsehen. Johannes Friedrich verteidigt die
„Mitarbeitendenjahresgespräche“ mit guten Argumenten als einen
„Dienst an den Pfarrerinnen und Pfarrern“ und schließt ein
„Controlling“ wie eine „Leistungsbeurteilung“ aus. |
(SZ vom 5. März 02) |
Gottes Hände tragen uns
Christian Nürnberger hat diese
Angst romantisch-verklärend beschworen und dazu das Feindbild
geliefert: McKinsey. Tatsächlich hat ein Team der Beratungsfirma
McKinsey vor sechs Jahren gemeinsam mit dem damaligen bayerischen
Landesbischof ein „Pro Bono“-Projekt fürs Münchner Dekanat
durchgeführt. Die Ergebnisse erregten Aufsehen und lösten eine Welle
von Diskussionen innerhalb und außerhalb der evangelischen Kirche
aus. Wichtigster Erfolg war, dass bundesweit vielfältige
Veränderungsprozesse in Gang kamen: Rückbesinnung der Kirche auf
ihre „Kernkompetenzen“, Strukturreformen, Verbesserungen in den
internen Abläufen, systematischeres Mitarbeitermanagement. |
(SZ vom 8. März 02) |
Zuhören, weniger reden!
Ich bin somit auch auf den
dritten Erkenntnissatz von Barmen ordiniert worden, wonach die
Kirche „die Gemeinde von Schwestern und Brüdern“ ist – und nicht von
zentralen Kirchenleitungen, Dekanen und anderen Richtliniengebern –
und wonach diese Kirche wie mit ihrer Botschaft auch „mit ihrer
Ordnung“ bezeugt, was ihre Sache ist: „Allein Gottes Eigentum“ ist
sie – und nicht das irgendwelcher Systemzwänge. Deshalb war es nach
Auffassung der „Bekennenden Kirche“ unmöglich, ein Führerprinzip in
der Kirche zu etablieren, das damals gesellschaftliche Effektivität
versprach. |
(SZ vom 13. März 02) |
Freundliche Übernahme
Robert Musil sprach von einer
„Großindustrie des Geistes“ und meinte genau das: Nutella und den
neuen Kirchen-Management-Jargon. Die Kirchen sind Großindustrien des
Geistes geworden, in Amerika noch mehr als hierzulande. „Religion
ist Geld“, sagte mir ein Anwalt in Los Angeles; Kirchen
funktionierten eben wie andere Geschäfte auch. Die fatale
Vereinigung von Kohlenpreis und Seele, von der Musil sprach, ist
Wirklichkeit geworden. Die Kirchen wollen nun endgültig zum
Hochtheologiekonzern werden. Männer ohne Kirchen-, aber mit
McKinsey-Eigenschaften sind die geistigen Führer, die Firmen und
Kirchen gleichermaßen den Erfolg verheißen.
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(SZ vom 20. März 02) |
Die einzige Alternative
Es gibt ein Fragment von Walter
Benjamin aus dem Jahr 1921 mit dem Titel „Kapitalismus als
Religion“. Diese zweieinhalb Seiten sind das Profundeste, was bisher
über das Thema aufzufinden ist. Der Text ist schwierig, aber seine
Folgerungen sind ein Dreivierteljahrhundert später evident. Man
nennt den vollreifen Kapitalismus von heute den Totalen Markt, und
sobald man diese Perspektive einnimmt, entdeckt man an diesem
Totalen Markt fast alle Kriterien des Kaiserkults im späten Rom. Er
war, ebenso wie der Totale Markt, transzendenzarm bis
transzendenzlos; er bestand lediglich auf seiner Allmacht, seiner
Alternativlosigkeit: TINA – There is no alternative. |
(SZ vom 03. April 02) |
Hört auf die Nomaden! VON ULRICH SCHNEIDER
Die Engpässe führten zu
Verteilungskonflikten und schließlich zu den frühen Großreichen, in
denen sich Macht und Technik verbündeten. In diesem Zusammenhang
wurden die Rationalität und das Ich-Bewusstsein geboren sowie die
Grundlage von Judentum, Christentum und Islam: An die Stelle der
konkreten Erd- Mutter trat ein abstrakter Himmels-Vater. Während
sich die Göttin ihre Macht mit anderen Kräften, mit dem Regen-,
Wind- und Sonnengott, teilte, duldete der „Gott der Väter“ niemanden
neben sich. Zugleich verhieß er dem Nomaden Abraham neue
Lebensgrundlagen in der Ferne, in der Zukunft. Seitdem gibt es das
Prinzip Hoffnung. |
(SZ vom 11. April 02) |
Da ist der Augenblick
Von Matthias Schreiber
Dass dem dogmatisch-theologischen
Streit über die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre eine
öffentliche Debatte über die Grenzen und Möglichkeiten zur
Modernisierung der evangelischen Kirche folgen würde, konnte niemand
wissen. Und angesichts kirchlicher Segnungen gleichgeschlechtlicher
Partnerschaften oder kirchlich erteiltem Scheidungssegen fragt man
sich, was wirklich dahinter steckt. Was auch immer es sein mag, ein
Modernisierungsproblem im Allgemeinen ist es ebensowenig wie ein
Modernismusproblem; moderne Methoden der Kommunikationstechnik
gehören in den Kirchen längst zum Alltag. Auch der
Verhältnisbestimmung zwischen Glaube auf der einen sowie modernen
Wissenschaften auf der anderen Seite hat sich die evangelische
Kirche seit der Aufklärung gestellt und tut es gemeinsam mit der
katholischen Schwesterkirche dieser Tage in neuer, bemerkenswerter
Weise bei der Biomedizin und der Genforschung.
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(SZ vom 24. April 02) |
Tröstliche Umwege
Von Jürgen Werner
Der Wille zur Modernität der
Kirche wird also zu Recht verstanden als eine Reaktion auf den
Zweifel an deren Notwendigkeit in der Moderne. Und Notwendigkeit
meint unter modernen Voraussetzungen immer Nützlichkeit. Wozu ist
etwas brauchbar: Das ist das entscheidende Kriterium, an dem sich
messen lassen muss, wer sich einmal eingelassen hat auf
Anerkennungsfragen dieser Art. Die Wirtschaft hat diesen Maßstab zum
obersten Grundsatz ihres eigenen Credos erhoben. Es kommt öfter vor,
als es die flapsige Kolportage unterstellt, dass einer, der nicht in
der Lage ist, im Aufzug zwischen dem ersten und vierten Stockwerk
seinen Platz in der Wertschöpfungskette nachzuweisen, für
überflüssig erklärt wird. Will sich die Kirche auf diesen
ökonomistischen Gestus einlassen? |
(SZ vom 14. Mai 02) |
Sie säen nicht und kentern doch |
(SZ vom 25. Mai 02) |
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